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332 Die Monarchie als Wirtschaftsraum
und dessen volles Eigentum sie erwerben konnten, indem sie ihren
Grundherren mit Geldzahlungen entschädigten. Aus dieser Landre-
form speisten sich zwei Erbekonstrukte, die sie zu vollenden bean-
spruchten: Die aufgeklärten Konservativen im Adel leiteten aus der
josephinischen Reform ihre postfeudale Rolle als Schirmherren der
Untertanen ab, akzeptierten also die persönliche Freiheit der Bauern,
hielten aber an der adeligen Patrimonialverwaltung fest und traten
gegen die Freiteilbarkeit der Böden auf. Währenddessen zog die wirt-
schaftsliberale Beamtenschaft aus dem Erbe Josephs II., als dessen
Erfüllungsgehilfe sie sich verstand, diametrale Schlüsse: Sie plädierte
für die agrarkapitalistische Entfesselung der Arbeitskraft und für die
Verdrängung des Adels aus der Gerichtspflege und Lokalverwaltung.
Zweitens brachte der Reformprozess, der ja den Staat aufbaute und
ihm zugleich Grenzen setzte, weil er in einen Rechtsstaat mündete, ein
liberales Privatrecht hervor. Das ABGB von 1811 hatte die unbeab-
sichtigte Folge, dass »privilegierte« Gruppen die proklamierte Gleich-
heit vor dem Gesetz ernst nahmen: So bedienten sich von altersher
bevorrechtete Gruppen wie der Adel und der Klerus des ABGB, das
der gegen ihre Privilegien gerichtete Staatsbildungsprozess hervorge-
bracht hatte: Sie nutzten das universalgültige Recht um die Rhetorik
des allgemeinen Besten als Camouflage der selbstherrlichen Verfü-
gungsansprüche des Staates zu entlarven.
Drittens schließlich bedeuteten die josephinischen Reformen keinen
kompletten Kahlschlag der altständischen Ordnung, sie hinterließen
keine Tabula rasa. Das Ständegefüge wurde nicht über Nacht beseitigt,
aber die Liberalisierung des Liegenschaftsverkehrs hatte die altherge-
brachte Hierarchie durchlässig gemacht: Damit konnten Bauern Ei-
gentümer ihrer Pachtgründe werden und zugleich zogen kaufkräftige
Bürger in die adeligen Gutshöfe ein, wo sie sich der alten Bannrechte
und Ansprüche auf die Leistungen ihrer bäuerlichen Untertanen
bedienten.
Viertens schuf die aufgeklärte Polizeywissenschaft Joseph von Son-
nenfels’ das Instrumentarium, das die Staatsgenese formte. Sonnen-
fels hatte das allgemeine Beste nicht mehr als Korrelat des fürstlichen
Schatzes bestimmt, sondern als Summe der »inviduellen Besten«, die
es zu kultivieren gelte. An dieses Verständnis bürgerlicher Glückse-
ligkeit knüpften die Adam-Smith-begeisterten liberalen Gelehrten und
Beamten des Vormärz wie Wenzel Gustav Kopetz, Joseph Kudler und
Ignaz Sonnleithner an. Fürstliche Patente und Privilegien deuteten sie
in Verträge und Befugnisse um, die von ihren Inhabern verpfändet und
verkauft werden konnten. Kopetz, Kudler und Sonnleithner führten
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513