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341Sonnenfels
versus Zeiller
Unter Leopold scheint der Augenblick gekommen zu sein, da der
Vorschlag zu einer auf Grundsätzen erbauten Gesetzgebung mit
Hoffnung eines günstigen Erfolges wieder erweckt, und der Wunsch
unverkleidet geäußert werden darf, dadurch wenigstens den Grund
zu einer Staatsverfassung zu legen. Zufolge der empörendsten Be-
drückungen suchen die Völker überall ihren Anspruch auf Glückse-
ligkeit mit Gewalt zu bemächtigen und dem Regenten nur die voll-
streckende zu belassen. Das Recht der Nation, sich selbst glücklich
zu machen, ist in der Tat unverjährbar und unveräußerlich, ebenso
wie das Recht der Selbsterhaltung. Nur die Ausübung dieses Rechts
läßt sich verhindern, wenn eine weise bürgerliebende Regierung
sich selbst mit Gesetzen befaßt, die diesen Zweck erreichen. Die
Hoffnung setzen alle Völkerschaften auf Leopold II. Regierung.17
Sonnenfels’ Votum war starker Tobak. Die unverjährbaren und unver-
äußerlichen Ansprüche der Völker auf Glückseligkeit gelte es legisla-
tiv zu verwirklichen, ansonsten dürfe man sich nicht wundern, wenn
die Staatsbürger sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischten,
die geheiligten Majestätsrechte wären dann Geschichte. Über den zu
eruierenden »allgemeinen Grundsätzen« der Gesetzgebung, dies be-
legt Sonnenfels’ Votum sehr plastisch, lag spätestens seit dem Regie-
rungsantritt Leopolds II. der Schatten der Französischen Revolution.
Sonnenfels spitzte seinen Entwurf postjosephinisch zu: Die Zentra-
lisierung, so Sonnenfels in seiner Eingabe vom März 1791, widerspre-
che den »Absichten der Natur«, nicht aber die Systematisierung, die
zur Prinzipienförmigkeit und Einheitlichkeit des Verwaltungshan-
delns führe.18
Leopolds Resolution, die daraufhin erging, räumte der antirevolu-
tionären Funktion des »Politischen Kodex« erste Priorität ein: »Von
den Rechten der Menschheit ist in dieser Ausarbeitung keine, sondern
nur von jenen des Bürgers Meldung zu machen.«19 Zwar seien die
Landstände über die »festzusetzenden Grundsätze« zu vernehmen,
aber bereits kundgemachte Gesetze seien nicht mehr aufzuschnüren;
die Einwände der Landstände dürften das »Wohl der gesammten
17 Sigmund Adler, Die politische Gesetzgebung in ihren geschichtlichen Be-
ziehungen zum allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, in: Festschrift zur
Jahrhundertfeier des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, 1. Juni 1911, 2
Bde., Wien 1911, Bd. I, 83-145, 100, Fn. 30 (26.
März 1791). Der vollständige
Text wiedergegeben bei Wagner, Der politische Kodex, 245-255.
18 Wagner, Der politische Kodex, 252-253.
19 Ebda., 256.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513