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343Sonnenfels
versus Zeiller
und Pflichten der Bürger nach ihren mannigfaltigen Verhältnissen«.24
Damit ließen sich bequem verfassungsrechtliche Bestimmungen in die
Kodifikation einschleusen. Von einer »natürlichen Freiheit« könne, so
Sonnenfels schon 1786, im Staate nicht die Rede sein, der nur durch die
»Gesetze der Natur« bestimmten Freiheit stellte er die »bürgerliche
Freiheit« gegenüber.25 Sonnenfels hatte Martini und das Preußische
Allgemeine Landrecht bezichtigt, die Bürger zum kecken »Vernünf-
teln« anzustiften, indem sie Rechtssätze, die eigentlich als Leitlinien
des Staatshandelns fungierten, also gleichsam nur für den Dienstge-
brauch gedacht waren, in das Gesetzbuch einbauten. Sonnenfels suchte
dies am Beispiel des § 79 des ALR zu erweisen, nach dem der Staat die
natürliche Freiheit des Bürgers nicht weiter einschränken dürfe, als es
der »gemeinschaftliche Endzweck« erfordere.26
Als Martinis Gesetzgebungskommission Sonnenfels’ Revisions-
antrag beriet, drehte sie den Spieß um. Bauchpinselei, argumentative
Nebelkerzen und vergiftete Komplimente gehörten zum kleinen
Einmaleins der Kodifikationsdebatte, so streute die Kommission Son-
nenfels zunächst Rosen, bevor sie sein Ansinnen unmißverständlich
zurückzuwies: Martini und seine Mitarbeiter, hieß es, müssten darauf
bestehen, dass die Sätze »aus dem Natur- und allgemeinen Staatsrechte,
[die] zur Erörterung und Begründung der individuellen und einzelnen
Gegenstände des bürgerlichen Gesetzbuchs dienen mögen, nicht in
dem Gesetzbuche selbst zu erscheinen« hätten, sondern allenfalls in
einem »besonderen Proëmio« voranzustellen seien.27
24 Ebda., 119. [1, 1] §. 3, Entwurf Martini 1796; Westgalizisches Gesetzbuch I
§ 9; Harrasowsky, Codex Theresianus, V, 5.
25 Harrasowsky, Codex Theresianus, IV, 24, Anm. 1.
26 Adler, Die politische Gesetzgebung, 116. Martini selbst äußert sich zum
ALR als »ächtes Meisterstück« in seinem Bericht zur »kurzgefaßten Bear-
beitungsgeschichte« des ABGB vom März 1792 lobend und merkte mit Blick
auf das Gesetzgebungsvorhaben für die Erbländer an: »wer wird es nicht
schwer und kützlicht finden, nach Homer eine Iliade zu schreiben?«, AVA,
OJ / HC, Karton 7, Nr 25 /1792 II 29, Fol. 17.
27 Adler, Die politische Gesetzgebung, 120. Vgl. auch den Begutachtungsbericht
der böhmischen Kommission aus dem Jahre 1792, die dem Gesetzbuch einen
»politischen Katechismus« staatsrechtlichen Inhaltes voranschicken wollte,
der die Bürger über ihre Pflichten gegenüber dem Landesfürsten aufklären
sollte: In der bürgerlichen Gesellschaft müssten »alle ihre Kräfte des Geis-
tes und des Körpers, alles ihr Vermögen und Bemühen« zur Erreichung der
übergeordneten Zwecke »Sicherheit, Wohlstand und Ruhe« verwenden, Har-
rasowsky, Codex Theresianus, V, 4, Anm. 1. Hofrat Franz Georg von Keeß
wies derlei »staatsrechtliche Bestimmungen« zurück, sie seien in einem Lehr-
buch am Platze, wie auch »die Aufstellung einer Definition des Gesetzes«.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513