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367Die
Politik des Metapolitischen
lichen Lehre abgenabelt, das heißt: die gerechte Verteilung des Boden-
eingentums war für Zeiller nicht mehr Aufgabe des Gesetzgebers.116
Zeiller verwissenschaftlichte und »positivierte« den allgemeinen
Grundsatz der »freien Tätigkeit«, und schuf damit zugleich die Grund-
lage für die im Vormärz schulbildende »exegetische Methode«. Das
universale Privatrecht war ebenso sauber von den politischen Geset-
zen und von lokalen Gepflogenheiten abzugrenzen wie von der Mo-
ral. »Motivierende Aussprüche«117, und der Verweis auf natürliche
Rechte seien, so hielten konservative Staatsratsmitglieder und Hofräte
unermüdlich fest, angesichts der Französischen Revolution fehl am
Platze. Sonnenfels hatte sich derselben Argumentation bedient, um
seinen Kodex zu bewerben und den Primat der Staatswissenschaft
über die Rechtsschöpfung zu erlangen, war damit aber über das Ziel
hinausgeschossen. Keeß und Zeiller verstanden es, die geballten Ent-
politisierungswünsche und den veritablen Horror vor einer Verfas-
sungsschöpfung zu ihrem eigenen Vorteil zu verwenden und in einem
Kehraus alle Passagen über die unerforschlichen Motive, den »still-
schweigenden Willen des Gesetzgebers«118 und die »Bindungskraft«
der Gesetze, die »ganz allein« von der dem Monarchen »beiwohnen-
den höchsten Gewalt«119 herrühre, zu entrümpeln. Die als apolitisch
präsentierte, postrevolutionäre Positivierung machte aus der Not eine
Tugend. § 7 des ABGB lautet:
116 Ignaz von Beidtel, Über die Veränderungen in den Feudalverhältnissen in
den österreichischen Staaten unter der Regierung Leopold II., in: SKAW
11 (1853), 486-499, 494 (Beidtel spricht hier scharfsinnig davon, dass in der
Periode von 1740 bis 1790 die »bloße Theorie« gewaltige Einwirkung auf
die Gesetzgebung erlangt habe. Pichler weist ganz richtig darauf hin, dass
damit die Kameralistik und Staatswissenschaft gemeint seien, nicht die ju-
ristische Theorie, Pichler, Das geteilte Eigentum, 38).
117 Hofrat Ferdiand von Fechtig betonte in der Sitzung vom 15. 12. 1795 die
Schädlichkeit der Kodifizierung natürlicher bürgerlicher Rechte. Derlei
»motivierende Aussprüche« scheinen ihm »eher in eine sogenannte Con-
stitution zu gehören«, zudem gab er zu bedenken, dass sie nach »Rechtfer-
tigungen« aussähen, »deren Aufnahme jetzt gerade noch doppelt am un-
rechten Platze wäre, denn sie scheinen Furcht zu verraten«, Harrasowsky,
Codex Theresianus, V, 4, Fn. 1. Den Hinweis auf das preußische Gesetz-
buch ließ Fechtig nicht gelten, es sei mehr ein Schulbuch als ein Gesetz-
buch, übrigens sei »der preußische Geschmack […] schon just nicht allemal
der beste«.
118 Harrasowsky, Codex Theresianus, I, 42.
119 Eliminierter § 3 aus dem josephinischen Teil-ABGB, vgl. Harrasowsky, Co-
dex Theresianus, IV, 16.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513