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380 Naturrechtspraxis und Empire-Genese
situationsabhängiger Zwecksetzungen, die von ihren Proponenten mit
der universalen Rationalität schlechthin gleichgesetzt wurden. Dabei
springen zwei Ansatzpunkte ins Auge: die zweckrational verbrämte
Deduktion des Privatrechtsprimats und die verschleierte Fixierung der
freien Konkurrenz als implizite Supernorm.
Als 1807 das adelige Einstandsrecht für Böhmen vor der Obersten
Justizstelle verhandelt wurde, riefen Zeiller und Pratobevera in Erin-
nerung, dass das Josephinische Gesetzbuch von 1786 die Beschrän-
kungen der Eigentumsfähigkeit in den jeweiligen Landesverfassungen
außer Kraft gesetzt habe. Zudem wiesen sie vorsorglich darauf hin,
dass die soeben entstehende Kodifikation »auch wieder alle Bürger,
insofern sie durch die Landesverfassung ausgeschlossen sind, zum
Ankauf zulassen«165 werde. Dagegen stellten sich die konservativen
Hofräte auf den Boden eines postrevolutionär und geradezu para-
sakral verklärten Grundeigentums. Hier erscheint das Grundeigentum
als »Regalium«, dessen »Investitur«, wie es bei Hofrat Ignaz von Rott-
mann heißt, sich auf die zum Lande Habilitierten erstrecke, zudem
imgleichen allem Inhalte ihrer Privatzwecke abstrahiert, ein Ganzes aller
Zwecke (sowohl der vernünftigen Wesen als Zwecke an sich, als auch der
eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen mag) in systematischer Ver-
knüpfung, d. i. ein Reich der Zwecke gedacht werden können, welches nach
obigen Prinzipien möglich ist. Denn vernünftige Wesen stehen alle unter
dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß
als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln
solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger
Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d. i. ein Reich, welches,
weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen aufeinander als Zwecke
und Mittel zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke (freilich nur ein Ideal)
heißen kann. Es gehört aber ein vernünftiges Wesen als Glied zum Reiche
der Zwecke, wenn es darin zwar allgemein gesetzgebend, aber auch diesen
Gesetzen selbst unterworfen ist. Es gehört dazu als Oberhaupt, wenn es als
gesetzgebend keinem Willen eines anderen unterworfen ist. Das vernünftige
Wesen muß sich jederzeit als gesetzgebend in einem durch Freiheit des Wil-
lens möglichen Reiche der Zwecke betrachten, es mag nun sein als Glied,
oder als Oberhaupt.«
165 Kocher, Höchtsgerichtsbarkeit und Privatrechtskodifikation, 124. Damals
votierte Pratobevera: »In die itzigen Zeiten paßte wirklich nicht eine Be-
schränkung, oder Abänderung der Ankaufsfähigkeit ständischer Realitäten.«
Pratobevera verwies auch auf die böhmischen Staats- und Religionsfonds-
güter, für deren Erwerb ja offenkundig niemand das Indigenat oder Inkolat
vorweisen müsse: »Giebt es kein Einstandsrecht, so kann jedermann kau-
fen«, ebda., 176.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513