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427Der
Siegeszug der historisch-römischrechtlichen Schule nach 1848
Unger zufolge lag der Staatszweck in der Naturalisierung der Moral-
gesetze auf dem Wege der Bildung; das bürgerliche Handeln sei nicht
mehr als Pflichtenvollzug vernünftiger, selbstzweckhafter Wesen auf-
zufassen, der Staat, das »sittliche Weltgesetz als Person«307 vermittle
zwischen den subjektiven Einzelinteressen, es begründe den Vorrang
des Geistes über die Natur.308 Unger lobte Hasner für dessen antisub-
jektivistische Auffassung der Ehe, der Familie und des Staatsverbandes,
zugleich zeigt die Rezension aber die Widersprüche, in die sich Unger
verstrickte. Als Altachtundvierziger versuchte Unger seinen dosierten
Liberalismus den Vorgaben der Universitätspolitik anzugleichen, ver-
mied dabei aber jene theonomen, auf göttliche Gesetze zurückführen-
den Begründungen der Rechtsschöpfung und der Wissenschaft,309 die
in Thuns Kreis auch gepflegt wurden.
Im Staatsrecht kritisierte Unger die vernunftrechtliche Vorstellung,
dass der Staat die natürliche Erweiterung der einzelnen Person sei,
während er im Privatrecht gegen Hasner an der ungeschmälerten Ver-
fügungsfreiheit über das persönliche Eigentum festhielt: Die Beschädi-
gung, Vernachlässigung und Vernichtung des Eigentums galten nicht
als missbräuchliche Verwendung. Für die sich abzeichnende Demon-
tage der vormärzlichen Jurisprudenz ist Ungers Begründung dieser
Verfügungsfreiheit sehr aufschlussreich, führt er dieselbe doch nicht
etwa auf Zeillers natürliches Privatrecht zurück, sondern auf das rö-
mischrechtliche jus abutendi re sua. Diese Volte erlaubt es Unger, die
Verfügungsfreiheit dogmatisch zu begründen, während er zugleich das
aufgeklärte Naturrecht diskreditierte.310 Eingebettet ist diese Diskre-
307 Ebda., 411.
308 Ebda., 410.
309 So etwa in der vom Tiroler Theologen Aloys Flir aufgesetzten Reform-
broschüre: »[D]ie Vernunft aber hat die Aufgabe zu zeigen: in wie weit
das historisch gewordene Recht mit jenem höchsten Sittengesetze, d. i. mit
dem Prinzipe der Gerechtigkeit übereinstimmt oder nicht. Dadurch wird
nun freilich jedes auf dem Wege der subjektiven Spekulation ersonnene
Prinzip ausgeschlossen und der Vernunft in dieser Hinsicht jede subjektive
Produktionsfähigkeit abgesprochen, aber damit wird sie in ihrer Würde
nicht gemindert, sondern sie wird zu der Höhe der steten Beschauung der
göttlichen Gerechtigkeit und zu dem erhabenen Dienste emporgehoben,
von dieser Höhe herab das menschliche positive Recht nach dem göttlichen
Maßstabe zu beurtheilen.« [Aloys Flir,] Die Neugestaltung der österreichi-
schen Universitäten, 76. Vgl. Nikolaus Grass, Alois Flir, in: ders., Österrei-
chische Historiker-Biographien, Bd. I, 86-106, 97.
310 Unger, [Rez. v.] Hasner, 412. Gerade umgekehrt argumentiert [Flir,] Neu-
gestaltung, 75: Die Volkssouveränität sei letztlich immer nur ein Konglo-
merat subjektiver Willensäußerungen, ebenso wenig wie Glaubenswahr-
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Title
- Aufklärung habsburgisch
- Subtitle
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Author
- Franz Leander Fillafer
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Size
- 14.0 x 22.2 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513