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Tanz
ewigen Lamentieren und Moralisieren hält er kampfeslustig entgegen: „Also ruhig! Ihr Sittenprediger und
Moralisten, ihr Laudatores temporis acti, die ihr immer die Vergangenheit anpreist und die Gegenwart
verlästert, stille von nun an, denn wir, eure Enkel, hopsen und rasen nun jene unsinnige Galloppade nach,
die ihr vor vierzig Jahren tanztet. Freilich ist auch vor vierzig Jahren schon manches blühende Mädchen an
den Folgen einer Gallopade gestorben – allein was macht das? Es ist süß, im Gallop zu sterben. Freilich ha-
ben auch schon vor vierzig Jahren Aeltern und Erzieher, Aerzte und Journalisten gegen die Tarantel-Wuth
der Gallope gepredigt; allein wir rufen wie damals: ‚A bas les moralistes! Vive la Gallope!‘“75 Genau vierzig
Jahre liegen zwischen den beiden Artikeln, vierzig Jahre der napoleonischen Kriege, der metternichschen
Zensur und gewaltiger gesellschaftlicher Veränderungen hin zum aufkommenden Industriezeitalter. Es
waren die vierzig Jahre, in denen Lanner schuf und wirkte – die nie versiegende Tanzwut seines Publikums
war die Grundlage seines Lebenswerkes.
Tanz ist mehr als reines Freizeitvergnügen, mehr als sportliche Betätigung. In der Sinnlichkeit des Tanzens
erschließt sich die ganze Palette zwischenmenschlicher Beziehungen. Humorvoll beschreibt dies ein Arti-
kel aus 1826, der die einzelnen Tänze mit den Stationen des Lebens in Verbindung setzt:
„Die Eccossaise ist das treffliche Bild des Leichtsinns; der Tänzer fliegt im raschen Zweyvierteltacte die
Colonne herauf und hinunter, bis er ermattet endet, sich in einen Winkel setzt, bis das tobende Blut wieder
seinen ruhigen Lauf fortsetzt. So der Leichtsinnige; er lebt lustvoll und freudig in die Welt hinein … Im
Walzer, wo der Tänzer, sein Mädchen umschlingend, durch die Reihen hinfliegt, sieht man der jugend-
lichen Liebe heiteres Bild. Zwey Liebende, sich selbst genügend, durch Amors Rosenbande an einander
gekettet, walzen froh durch’s Leben hin, bis sie im ernsten Polonaisen-Schritte der Ehe den Tanz endigen.
Wie die rasende Galoppe die Tänzer unaufhaltsam fortjagt,Â
… so treiben die Menschen die Leidenschaften
im unendlichen Kreise, und er kann sich nicht aus dem Wirbel heraus reißen,Â
… bis er für alle Genüsse des
reinen Vergnügens abgestumpft ist. Des Alters sorgliche Vorsichtigkeit zeigt uns die steife Menuette. Des
Cottillons sinnreiche Touren sind der Spiegel unseres Lebens; bald ist im Wechseltanz einer der Erste, der
im nächsten Augenblicke der Letzte ist … Die große Raststunde76 ist das Grab.“ (A. Rosa)77
Tanzmeister
Je breiter die Gesellschaftsschicht war, die sich dem Tanzvergnügen hingab, desto höher war der Bedarf an
Tanzlehrern78, die einem zumindest die Grundschritte beibringen konnten. Der Tanzlehrer im Wien der
Dreißigerjahre des 19. Jahrhunderts hatte nur wenig mehr gemein mit dem Tanzmeister am französischen
Hof Marie Antoinettes.
Tanzschulen führten in die neuesten Modetänze ein, sorgten sich aber auch um Mode und Anstand.
Stubenmädchen und Kammerdiener waren das typische Publikum, aber auch manch höher gestellte Herr
kam anonym dorthin, um sich bei seinen nächtlichen Tanzabenteuern nicht gar zu sehr zu blamieren.
Tanzmeister hatten noch eine weitere wichtige Funktion: ihnen oblag die Ordnung der Ballveranstaltun-
gen. In jeder Ballankündigung wurden ihre Namen erwähnt, sie sorgten für die Abfolge der Tänze und
für das Arrangement der Gesellschaftstänze. Der Veranstalter (der in dieser Eigenschaft für die Verkös-
tigung sorgte), der Leiter der Tanzkapelle und der Tanzmeister bildeten das Dreigestirn, das für einen
gelungenen Abend zu sorgen hatte. Die am häufigsten genannten waren Rabel, Webersfeld (er war auch
Tanzlehrer der ungarischen Leibgarde) und Rabensteiner.
75 Der Wanderer, 1. u. 2. 10. 1840 (gekürzt).
76 In jeder Ballveranstaltung gab es eine größere Pause, welche in den gedruckten Programmen mit „große Raststunde“ bezeich-
net wurde (Anm. d. Verf.).
77 Der Wanderer, 25. 1. 1826.
78 Eine ausführliche Darstellung bietet Witzmann a.a.O. S. 18ff.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der Abkürzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- Flüchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang