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Joseph Lanner – Leben und Werk
Bearbeitungen
Am 5. 10. 1825 erschienen in der „Wiener Zeitung“ zwei unmittelbar aufeinander folgende Anzeigen:
Diabelli gab die Neuerscheinung von Lanners „Neue Wiener Ländler mit Coda in G“ für „drey Violinen
und Baß“ bekannt sowie erneuert die Verlagsanzeige für die bereits am 6. Juli erschienene Klavierausgabe
(immer noch ohne opus-Zahl), unmittelbar darunter kĂĽndigte der Simrock-Verlag eine Ausgabe von
Beethovens erster Sinfonie in C „arrangée pour le Pianof., avec accomp. de Flûte, Violon et Violoncelle
ad libitum par J. N. Hummel“ an.
Zeitlicher Zufall gewiss, doch ist er Anlass zur prinzipiellen Fragestellung nach dem Stellenwert der „Bearbeitung“
im Gesamtkontext eines Werkes, weist auf das grundlegende Problem hin: was bei Lanner ist das „Werk“?
Niemand würde auf den Gedanken kommen, die Hummelsche Bearbeitung der Beethoven –Sinfonie
als mehr als eben ein Arrangement zu werten. Eine Sinfonie, ein Streichquartett, eine Klaviersonate,
im Auto graph vorliegend oder zumindest in einer verlässlichen Abschrift, manifestieren den Willen des
Komponisten. Bereits die bloße Transkription eines Liedes in eine andere Tonart lässt einhalten: war für
den Komponisten die Tonartencharakteristik wesentlich, hat er – selbst nach Einführung der gleich-
schwebenden Stimmung – daran festgehalten? Was akustisch nicht erfahrbar ist, wird optisch erlebbar
– zumindest für denjenigen, welchem die Regeln noch bekannt sind.
Überlegungen zur Authentizität tauchten im Lauf des 19. Jahrhunderts mit den Ideen von „Gesamtausgaben“ auf.
Unbekümmert wurde zunächst kopiert, gedruckt und nachgedruckt, ohne den Quellenwert zu hinterfragen. Erst
mit dem Entstehen der „Urtextausgaben“ erfolgten Neubewertungen von Autograph und Abschriften.
Andererseits: was etwa von Beethoven war zu seiner Zeit bekannt? Wie oft wurde eine Beethovensche
Sinfonie gespielt, wie groĂź war das Publikum, das unmittelbar an solch einem Ereignis teilhaben konnte?
Die Funktion der Bearbeitung war eine doppelte: sie sorgte fĂĽr Verbreitung von Werken, sie hatte aber
auch pädagogische Wirkung: was man sich am Klavier erarbeiten musste, hatte einen anderen Stellenwert
als das flüchtig Gehörte.
Liest man Besprechungen von Novitäten etwa im Allgemeinen musikalischen Anzeiger am Beginn des
19.Â
Jahrhunderts, so fallen die Klagen der Rezensenten, lediglich ĂĽber Stimmenmaterial, nie aber ĂĽber aus-
sagekräftige Partituren zu verfügen, auf. Orchestermusik wurde selbst von den Dirigenten noch lange nicht
aus der Partitur geleitet. Das Erstellen einer Partitur war ein groĂźer Aufwand, den Verlage lange scheuten.
Unabhängig von den vorangegangenen Überlegungen kann festgehalten werden, dass für einen Groß-
teil der „klassischen“ Musik (klassisch nicht als Epoche verstanden, sondern als Definition eines Werk-
anspruchs) Bearbeitungen nie als gleichwertig mit dem Eigentlichen gesehen wurden, wenngleich sie
weit verbreitet waren. Romantische Orchestermusik ist einem Arrangement weitgehend verschlossen: die
Klangwirkungen lassen auf dem Klavier sich nur bedingt erzeugen, sind freilich dem Werk immanent.
Bruckners und Mahlers Sinfonien sind nicht „instrumentiert“239, sondern der Orchesterapparat selbst ist
Bestandteil der Schöpfung. Bei anderen Komponisten, wie etwa Schumann und Brahms, machen Kla-
vierausgaben der Sinfonien hingegen durchaus Sinn, sie verdeutlichen die UrsprĂĽnge mancher Passagen,
die von Klang und Technik des Klaviers inspiriert sind, was AusfĂĽhrende nicht selten vor nahezu unĂĽber-
windbare technische und klangliche HĂĽrden stellt.
Opernklavierauszüge – von Tanzkomponisten ausgiebig für ihre Bearbeitungen genützt – stellen in erster
Linie ein technisches Hilfsmittel für die Sängereinstudierung dar, die darin reichlich vorkommenden
Instrumentenangaben sind ebenso essentiell wie ein gut spielbarer, aber auch gut klingender Klaviersatz.
239 Mahlers Arbeitsweise, während des Sommers ein Particell zu erstellen, welches während der Wintermonate instrumentiert
wurde, heiĂźt nicht, dass die Instrumentation nicht von Beginn an mitgedacht war. (Anm. d. V.)
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Title
- Joseph Lanner
- Subtitle
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Author
- Wolfgang Dörner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Size
- 21.0 x 29.5 cm
- Pages
- 752
- Keywords
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang