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Murray G. Hall
„Hinaus mit den Juden !“
Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand
Hugo Bettauers 1922 erschienener „Roman von Übermorgen“, Die Stadt ohne Juden,
verblüfft den heutigen Leser ob seiner vermeintlichen „Prophetie“. Der Schriftsteller
hätte beinahe visionär die Ereignisse des Jahres 1938 und danach, die Vernichtung
der (Wiener) Juden im Dritten Reich, vorausgesehen. Was der Roman angesichts
des nicht tabuisierten Alltags-Antisemitismus der Leserschaft der Zwanzigerjahre zu
bieten hatte, war bestenfalls „déjà vu“, alles schon da gewesen.
„Jüdische Erfahrungen“
Die Botschaft war unzweideutig und auch eine „jüdische Erfahrung“ der noch sehr
jungen Republik. Vor dem Hintergrund von Koalitionsverhandlungen zwischen den
Sozialdemokraten und den Christlichsozialen, inmitten von Hunger und Elend, von
Wohnungsmisere, Kohlenmangel und Lebensmittelknappheit fand am 5. Oktober
1919 auf dem Rathausplatz zu Wien eine große Antisemitenkundgebung – vom
Antisemitenbund veranstaltet – statt. Die „Parole“ war denkbar kurz und prägnant :
„Hinaus !“ Der antisemitische Zeichner Fritz Schönpflug illustrierte die knappe
Aufforderung in einer Karikatur auf der ersten Seite der Reichspost, des Organs der
Christlichsozialen, am 6. Oktober. Unter dem Imperativ „Hinaus !“ sah der Leser eine
Menschenmenge – vermutlich „Fremdjuden“, wie sie in diesem Kontext angespro-
chen werden – mit erhobenen Händen neben dem Stephansdom. Ein großer Fuß be-
droht sie, will sie „abschaffen“. Auch das die Diktion dieser Auseinandersetzung. Die
Weiterführende Literatur des Verf. zum Thema : Der Fall Bettauer, Wien 1978 ; „Hugo Bettauer“, in :
Francesco Bono, Paolo Caneppele, Günter Krenn (Hg.), Elektrische Schatten. Beiträge zur österreichischen
Stummfilmgeschichte, Wien 1999, S. 149–168 ; „,… alles arische Empfinden verhöhnt, verspottet und
in den Kot gezerrt‘. Zur Rezeption von Hugo Bettauers Die Stadt ohne Juden“, in : Die staDt ohne
JuDen. Österreich 1924. Regie : Hans Karl Breslauer, hg. v. Guntram Geser und Armin Loacker, Wien
2000, S. 105–143.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519