Page - 1 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Image of the Page - 1 -
Text of the Page - 1 -
Steven Beller
Was nicht im Baedeker steht
Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit
1927 erschien ein Buch von Ludwig Hirschfeld, Was nicht im Baedeker steht : Wien
und Budapest. Dieses Buch war als ein informelles Gegenstück zum berühmten Bae-
deker Reiseführer für Wien gedacht und berichtete auch das eine oder andere über
Budapest. In diesem Buch schreibt Hirschfeld über Kaffeehäuser, Fasching, das Thea-
terleben, die Wiener Mode und die Wienerinnen. Im interessanten Kapitel „Eigen-
tümlichkeiten, an die man sich gewöhnen muss“ stellt Hirschfeld eine Frage : „Ist er
ein Jud ?“
Für Hirschfeld hat diese „Wienerische Judenfrage“ gar nichts mit Politik und Ras-
senantisemitismus zu tun, denn diese Frage sei im damaligen Wien von allen, ohne
Unterschied der Konfession, gestellt worden – von Hakenkreuzlern wie von Juden :
„,Ist er ein Jud ?‘ – Alle andern Fragen kommen nachher : Ob der Komponist, der
Schriftsteller wirklich Talent hat, ob der berühmte Arzt schon viele Patienten geheilt,
der Fußballchampion schon viele Goals geschossen hat. Die primäre Frage lautet : ,Ist
er ein Jud ?‘ Erst wenn sie beantwortet ist, dann stellt man sich zu der Leistung des
Schriftstellers, des Universitätsprofessors entsprechend ein. In jedem Gespräch wird
man Ihnen damit aufwarten. Wenn Sie Ihrer Verwunderung Ausdruck geben, dass
unser größter Gelehrter, Professor Sigmund Freud, der Schöpfer der Psychoanalyse,
ein Mann von europäischer Geltung, noch nicht Ordinarius an der Wiener Universi-
tät ist – Antwort : Er ist doch ein Jud. Es mag daran liegen, dass so viele interessante
und originelle Köpfe Juden sind : Egon Friedell, der raffiniert gescheite Polyhistor,
Philosoph und Amateurschauspieler, Raphael Schermann, der Schriftendeuter. Des-
halb gebe ich Ihnen den guten Rat : Seien Sie während Ihres Wiener Aufenthaltes
nicht zu interessant und originell, sonst sind Sie hinter Ihrem Rücken plötzlich ein
Jud […].“
Lange Zeit wurde behauptet, dass die Frage nach dem jüdischen Beitrag an der
modernen Wiener Kultur der Jahrhundertwende und auch der Zwischenkriegszeit
Ludwig Hirschfeld, Was nicht im Baedeker steht. Wien und Budapest, München 1927, S. 56–57.
back to the
book Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519