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Peter Landesmann
Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien bis zur
Gründung der Israelitisch-Theologischen Lehranstalt (itla)
Wenn ein Mann oder – seit dem zwanzigsten Jahrhundert – eine Frau den Beruf eines
Rabbiners oder einer Rabbinerin zu ergreifen wünscht, muss sich der- oder diejenige
überlegen, in welcher Art von jüdischen Gemeinden eine Anstellung angestrebt wer-
den soll. Die religiöse Orientierung der jüdischen Gemeinden kann sich zwischen
extrem orthodox zu extrem reform positionieren. Es sollen daher als Einführung in die
Thematik die kultischen Differenzen und ihre geschichtliche Entwicklung in Wien
dargestellt werden.
Vor der Errichtung des Stadttempels im Jahr 1826 hat es meistens unterirdische
Räumlichkeiten gegeben, wo vor allem orthodox eingestellte Juden ihre Gebete ver-
richteten. Von einem konservativen, d. h. in der Mitte der extremen Standpunkte
gelegenen Augenzeugen wurde folgende Beschreibung dieser dortigen Gottesdienste
übermittelt : „Ohne Ekel und Grauen kann keiner dieses finstere nasse, unterirdisch
gelegene Gemach, welches eher einem Kerker als einem Gotteshaus gleicht, betreten.
Die Andächtigen schrien durcheinander die unverstandenen Gebete, es war ein wüs-
tes Summen, Heulen und Lärmen.“
Zu dieser Kritik muss gerechterweise angemerkt werden, dass dieser Augenzeuge
von der orthodoxen Ausprägung des Gottesdienstes schon derart entfremdet war, dass
er für die Begeisterung (Hitlahavut) dieser Betenden kein Verständnis mehr aufbrin-
gen konnte.
Die in der damaligen Zeit in Wien lebenden an die fünfhundert tolerierten Juden er-
richteten für den Stadttempel einen Bau, der zwar die wesentlichen kultischen Elemente
der Synagogen übernahm, aber auch wesentliche architektonische Änderungen aufwies.
Schon der Name „Stadttempel“ muss fast häretisch in den Ohren von orthodoxen
Juden klingen, da es laut jüdischer Auffassung nur einen Tempel in Jerusalem gibt,
der einmal wieder entstehen wird. Alle Andachtsorte wurden als Synagogen oder Bet-
häuser oder, wenn sie klein waren, als Betstüberl bezeichnet.
Der vorliegende Essay basiert auf : Peter Landesmann, Rabbiner aus Wien, Wien 1997.
Jahrbuch für Israeliten, NF 9 (1862–1863), S. 218.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Title
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Subtitle
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Author
- Frank Stern
- Editor
- Barabara Eichinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 558
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519