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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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vollkommen unpersönlich: die Kruste über der innern Lava ist noch nicht gesprengt. Der Beginner zeigt sich durchaus als Nachahmer, Anempfinder, ja in einem kaum mehr erlaubten Maß, denn nicht nur die strophische Form und den geistigen Habitus borgt der Schüler von Klopstock, sondern schiebt ganze Zeilen und Strophen unbedenklich in seine Vershefte aus den Oden hinüber. Bald aber kommt Schillers Einfluß in das Tübinger Stift; er, von dem er »unverständlich dependiert«, reißt ihn mit sich in seine Gedankenwelt, in seine klassische Atmosphäre, in seine gebundene Reimform, in seinen strophischen Schwung. Aus der bardischen Ode wird rasch die wohllautende, geschliffene, mythologisch durchdeutete Schillersche Hymne, die breitrollende und tönende: hier erreicht Nachbildung nicht mehr das Original, sondern übertrifft des Meisters ureigenste Formen (mir zumindest will immer Hölderlins »An die Natur« schöner als das schönste Schillersche Gedicht erscheinen). Aber schon verrät ein ganz leise angeschlagener elegischer Ton selbst in diesen schematischen Gebilden die urpersönlichste Hölderlinsche Melodik: er braucht diesen Tonfall nur zu verstärken, sich ganz jenem Schwung ins Höhere, ins Idealische hinzugeben, die antikische Form abzutun und dafür die wahrhaft antike zu wählen, die freie und nackte, die sich nicht mehr in Reime einengen läßt und das Hölderlinsche Gedicht ist geboren, das »wehende Lied«, der reine Rhythmus. Aber auch den letzten Rest vom Systematischen, vom Schillerisch- Konstruktiven, den er übernommen, stößt er endlich von sich. Er erkennt das großartig Gesetzlose, das herrisch am Rhythmus Aufströmende der wahren Lyrik, und wenn Bettinens Berichte sonst immer unzuverlässig sind, in jener Erzählung von Sinclair läßt sie ihn doch seine wahrsten Worte sagen. »Geist gehe nur durch Begeisterung hervor, nur allein dem füge sich der Rhythmus, in dem der Geist lebendig werde. Wer erzogen werde zur Poesie in göttlichem Sinn, der müsse den Geist des Höchsten für gesetzlos anerkennen über sich und müsse das Gesetz ihm preisgeben: nicht wie ich will, sondern wie du willst.« Zum erstenmal ringt sich Hölderlin von der Vernunft, von dem Rationalismus in der Dichtung frei und läßt sich überraschen von der Urgewalt. Das Dämonisch-Überschwengliche bricht rauschend, bricht rhythmisch durch, seit es sich vom Gesetz losgesagt und dem Rhythmus hingegeben hat. Und nun erst quillt aus der Tiefe seines Seins, seiner Sprache die ihm urtümliche Musik, der Rhythmus, diese chaotisch wilde und doch eigenpersönliche Gewalt, von der er sagt, »alles sei Rhythmus, das ganze Schicksal des Menschen sei ein himmlischer Rhythmus, wie auch jedes Kunstwerk ein einziger Rhythmus sei«. Jede Regelmäßigkeit der lyrischen Architektonik verschwindet, nur seiner eigenen Melodie spricht das Hölderlinsche Gedicht orphisch nach: in der ganzen deutschen Lyrik gibt es kaum Gedichte, die so ganz auf dem Rhythmus ruhen wie jene Hölderlins. 78
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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