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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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die Dichtung die Vernunft überdauert und absolut Vollendetes im Zustand der Zerstörung entsteht – wie manchmal (ganz selten) auch in der Natur ein vom Blitz getroffener und bis in die Wurzeln verkohlter Baum von dem höchsten unberührten Aste aus noch lange weiterblüht. Hölderlins Übergang ins Pathologische ist vollkommen stufenhaft, nicht wie bei Nietzsche der plötzliche Einsturz eines ungeheuren, bis in die Himmel des Geistes erhobenen Baues, sondern gleichsam ein Abbröckeln, Stein um Stein, ein Lösen des Fundaments, ein allmähliches Ins-Bodenlose-, Ins-Unbewußte- Sinken. Es akzentuieren sich nur in seinem äußeren Gehaben gewisse Erscheinungen der Unruhe, und diese Krisen werden immer vehementer und folgen einander in immer kürzeren Ausbrüchen: während er in seinen früheren Stellungen Monate, selbst Jahre verweilen konnte, werden die Entladungen jetzt rascher. Indes in Waltershausen und Frankfurt noch Jahre, vermag sich Hölderlin in Hauptwyl und Bordeaux nur wenige Wochen zu halten, seine Lebensuntüchtigkeit wird immer hemmungsloser und aggressiver: wieder wirft das Leben ihn wie ein Wrack in das Haus der Mutter, seinen ewigen Strand nach allen Fahrten. Da reckt in letzter Verzweiflung der Schiffbrüchige die Hand nach dem Schicksalsformer seiner Jugend, noch einmal schreibt er an Schiller. Aber Schiller antwortet nicht mehr, er läßt ihn fallen, und wie ein Stein stürzt der Verlassene in die Tiefe seines Geschicks. Noch einmal wandert er, der Unerziehbare, in die Ferne hinaus, Kinder zu erziehen, aber freudlos, ein Todgeweihter, nimmt er den letzten Abschied voraus. Und nun sinkt ein Schleier über sein Leben: Geschichte wird hier zur Mythe und sein Schicksal Legende. Noch weiß man, daß er durch Frankreich »in schönem Frühling gewandert«, und »auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildnis, in eiskalter Nacht und die geladene Pistole neben mir im rauhen Bette« (wie er schreibt) genächtigt, man weiß, daß er nach Bordeaux zu jener Familie des deutschen Konsuls gelangt und plötzlich jenes Haus verlassen hat. Aber dann sinkt die Wolke nieder und verschattet seinen Untergang. Ist er jener Fremdling gewesen, von dem Jahrzehnte später eine Frau in Paris erzählte, daß sie ihn eintreten sah in ihren Park und in freudigster Begeisterung mit den marmorkalten Göttergestalten Zwiesprache halten? Ist es wahr, daß bei der Rückwanderung ein Sonnenstich ihm die Sinne geraubt und »das Feuer, das gewaltige Element ihn ergriffen«, daß also, wie er von sich in wissendstem Symbole sagte, »Apoll ihn geschlagen«? Haben wirklich Räuber am Wege ihm Kleider und das letzte Geld genommen? Auf alle diese Fragen wird niemals Antwort sein, eine Wolke hängt über seiner Heimfahrt, seinem Untergang. Nur dies weiß man, daß eines Tages bei Matthisson in Stuttgart einer eintritt, »leichenblaß, abgemagert, mit hohlem, wildem Blick, langem Haar und Bart und gekleidet 84
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Title
Der Kampf mit dem Dämon
Subtitle
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Author
Stefan Zweig
Date
1925
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
202
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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