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94 Österreichisches Küstenland
sen wurde. Somit wurde der nationalistische Diskurs, auch wenn dieser nur
einen Bruchteil der damaligen Öffentlichkeit repräsentierte, übernommen
und festgeschrieben.29
Die sozial bedingte und ethnisch-national markierte Kluft zwischen »ita-
lienischer« Stadt und »südslawischem« Land30 wurde allerdings während
des 19. Jahrhunderts immer kleiner, die Interaktionen zwischen den zwei
»Welten« wurden immer häufiger. Viele Dorfbewohner zogen wegen neuer
Arbeitsmöglichkeiten in die Städte, die ländliche Bevölkerung konnte sich
gleichzeitig (etwa dank der eigenen Kreditinstitute) wirtschaftlich von der
italienischsprachigen, urbanen Elite immer mehr loslösen. Das städtische
Alltagsleben blieb allerdings – trotz der großen Zahl zugezogener, südslawi-
scher Menschen – weiterhin italienischsprachig geprägt und in politischer
Hinsicht italienisch-nationalliberal dominiert.31
Die ethnische Vielfalt war freilich auch innerhalb der katholischen Kirche
vorhanden. Die katholische Mehrheit der Halbinsel (1890: 99.65 %,32 1900:
99.64
%,33 1910: 99.08
%34) war ethnisch-national sehr heterogen zusammen-
gesetzt. Diese Vielfalt erzeugte eine Situation, in der die katholische Kirche
sowohl als Treffpunkt als auch als Kampfplatz unterschiedlicher Völker
erscheinen konnte. Innerhalb der Städte schaffte vor allem die katholische
Kirche der südslawischen Präsenz einen Raum. Das istrianische Südslawen-
tum wurde im »Kronprinzenwerk«, wie dem folgenden Zitat zu entnehmen
ist, mit dem ländlichen, katholischen Hinterland identifiziert: Die südslawi-
sche Bevölkerung der istrianischen Halbinsel sei tief religiös, bildungsfern
und es lebe in kleinen Dörfern:
Wenn auch die meisten [von den Südslawen – P. T.] sehr weit zur Kirche haben, so
kommen sie doch jeden Sonn- und Feiertag zur Messe. Rein und sauber, so gut als
möglich angezogen, mit Blumensträußchen auf der Brust, auf der Kappe oder in der
Hand, sieht man sie aus ihren zerstreut stehenden Weilern zur Pfarrkirche eilen. Vor
und nach dem Gottesdienst begrüßen sie sich, Männer wie Frauen, gegenseitig mit
Worten oder (besonders in Süd-Istrien) auch mit Händedruck und Kuß. In der Kir-
29 Simon, Kulturelle Hybridität als Bedrohung?, S. 54.
30 Zur Entstehung der dichotomischen Raumimaginationen in und um Triest, siehe
auch Francesco Toncich, Narrazioni e pratiche politiche antislave a Trieste tra città
e campagna (1850–1871) [Antislawische politische Narrative und Praxen in Triest
zwischen Stadt und Land (1850–1871)], in: Acta Histriae 25 (2017), S. 539–562.
31 Elke-Nicole Kappus, Regionale Identität in Istrien – oder: Auf der Suche nach der
Istrianität, in: Manfred Bornewasser / Roland Wakenhut (Hg.), Ethnisches und
nationales Bewußtsein – zwischen Globalisierung und Regionalisierung, Frank-
furt a. M. u. a. 1999, S. 85–99, hier S. 87f.
32 Daten aus: Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1890, S. XVIII.
33 Daten aus: Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1900, S. XXXIII.
34 Daten aus: Die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910, S. 54.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303