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102 Österreichisches Küstenland
Neresine / Nerezine war mehrheitlich italienischsprachig: Von den 1.308
Einwohnern gaben 997 Menschen das Italienische und 306 Menschen das
Kroatische als ihre Umgangssprache (bei der Volkszählung von 1900) an.63
Bischof Šterk meinte, dass die ganze Debatte um die Liturgiesprache als Vor-
wand für antikirchliche Positionen italienischsprachiger politischer Akteure
diene: Die lateinische Sprache sei dabei »ein Mittel für politische Zwecke«.64
Die Spannungen wirkten bis in das Leben einzelner Menschen auf der
lokalen Ebene hinein – und in diesen konkreten Fällen nahmen die Men-
schen ihre Situation oft durch eine nationalisierte Brille wahr. Für viele itali-
enischsprachige Katholiken, auch wenn sie die nationalliberale Deutungsho-
heit ablehnten, stellten die südslawischen Priester eine Bedrohung dar. Viele
jüngeren, südslawischen Priester forderten nicht nur die nationalliberale
Elite, sondern auch die italienischsprachigen Gläubigen innerhalb der Kir-
che heraus. Im
April 1897 meldete etwa der Bürgermeister von Ossero / Osor,
dass die kroatischsprachigen Priester in Neresine / Nerezine mehreren Kin-
dern die in lateinischer Sprache zu erteilende Taufe verweigert hätten.65 Ein
neugeborenes, krankes Mädchen verstarb im Februar 1896, ohne getauft zu
werden: Don Trinajstić habe die kleine Marcella nur in altslawischer Spra-
che taufen wollen, was die Eltern aber ablehnten. Der Vater, Dominico Cave-
doni, stellte ein paar Monate später am Grab seiner verstorbenen Tochter ein
eineinhalb Meter großes Holzkreuz auf. Es wurde »der Seele unserer aller-
liebsten Marcella« gewidmet, »der verneint wurde, den Fleck der Erbsünde
in einer Zeremonie der lateinischen Liturgie wegzuwaschen«. Der Vater ließ
dem Text – wie eine fiktive Aussage des Mädchens gegen den Priester – hin-
zufügen: »Von der Spitze des Himmels bete ich für diejenigen, die das Gut
der Vernunft verloren haben.« 66
Im Bischofsitz von Veglia / Krk folgte inzwischen der slowenischsprachige
Antun Mahnič auf den kroatischsprachigen Šterk, der als Bischof nach Triest
ging. Fälle, in denen Kinder auf der Insel Lussin / Lošinj wegen der Sprache
kirchlich nicht begraben oder getauft wurden, ereigneten sich auch unter
ihm immer wieder.67 Hinter den nationalen Gegensätzen schienen jedoch
63 Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und
Länder, S. 62.
64 Brief des Bischofes (31. März 1896), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 256, fasc. 4.1.5.,
1896/745 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
65 Brief des Bürgermeisters (7. April 1897), in: Ebd., 1897/22.
66 Bericht des Bezirks-Gendarmarie-Commandos von Lussinpiccolo / Mali Lošinj
(4. Juni 1897), in: Ebd., 1897/5440 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
67 Siehe etwa Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Lussin / Lošinj (7.
Februar 1898),
in: Ebd., 1898/307 oder Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Lussin / Lošinj
(7. Februar 1898), in: Ebd., b. 223, fasc. 4.1.15., 1899/2284. [Etwa wollte Bischof
Mahnič im Jahre 1906 das Begräbnis nach lateinischer Zeremonie erlauben, aber
der örtliche Kaplan behauptete, das Telegramm darüber erst nach dem Begräbnis
erhalten zu haben – deswegen entstand zuerst wiederum eine Streitigkeit zwischen
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303