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105Konflikte
um die Nationalisierung
lienern« und »Kroaten«, sondern von »Herren«, denen die »Bauern« gegen-
übergestanden hätten: »die Bauern [sehen] von Tag zu Tag besser [ein], wie
sie von der herrschenden Clique hinters Licht geführt und in schnödester
Weise missbraucht werden«.78
Bischof Mahnič erkannte die Gewalt nicht in den physischen Handlungen
kroatischsprachiger Bauern. Seiner Auffassung nach war die kroatischspra-
chige, ländliche Bevölkerung solchen Ungleichheitsstrukturen ausgesetzt.
Dabei verschwieg er, dass vertikale, sozial bedingte Konflikte nicht nur im
»weltlichen« Raum, das heißt zwischen der städtischen (meist italienisch-
sprachigen) Elite und der ländlichen (meist südslawischen) Bevölkerung
bestanden, sondern auch im kirchlichen Raum zwischen den Kirchgängern
und den kirchlichen Obrigkeiten (Pfarrern, Bischöfen). In den ethnisch-
sprachlich heterogenen Gebieten konnten diese vertikalen Konflikte national
gedacht und bedient werden
– auch wenn die Konfliktgründe vordergründig
nicht von den ethnisch-nationalen Differenzen (als horizontaler Konfliktpo-
tenzialität), sondern den vertikalen Machtstrukturen bedingt waren.
Im Folgenden werden einige Fallbeispiele aus der istrianischen Halbin-
sel – vor allem aus dem sehr gemischt bewohnten west- und nordistriani-
schen Teil – geschildert, die zwar die nationale Polarisierung des Kirchen-
lebens und die nationale Positionierung der Priester beweisen könnten, aber
eigentlich andere Konfliktgründe aufwiesen: persönliche Animositäten zwi-
schen den Priestern und den Kirchgängern. Weil mehrere Sprachen vor Ort
vorhanden waren, verdeckten die sprachlichen Unterschiede als vermeintli-
cher Konfliktgrund die Komplexität der lokalen Ebene.
Im westistrianischen San Giovanni di Sterna / Sv. Ivan od Šterne verließen
die Menschen ab 1897 immer öfters sehr empört die Kirche, wenn der tsche-
chischstämmige Pfarradministrator,79 Josip Ptašinski, predigte. Das Dorf
gehörte zum mehrheitlich italienisch bewohnten Gerichtsbezirk von Visig-
nano / Višnjan, hatte aber eine südslawische Mehrheit: Von den 1.153 Ein-
wohnern gaben 907 das Kroatische als ihre Umgangssprache bei der Volks-
zählung von 1900 an.80 Trotz der Präsenz der großen italienischsprachigen
Minderheit waren die Predigten von Don Ptašinski meistens Wutausbrüche
gegen die »Italiener«, die er etwa – im Sinne der nationalen Markierung
78 Brief vom Bischof Mahnič (27. Mai 1902), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 267,
fasc. 1.2.3., 1902/1321.
79 Im Sinne einer slawischen Brüderlichkeit gingen einige tschechische Priester aus den
Kronländern Böhmen und Mähren nach Istrien, darüber siehe Ivan Bartolić, Češki
i Moravski svećenici u Istri od 1890. do 1930. [Tschechische und mährische Priester
in Istrien vom 1890 bis 1930], in: Pazinski memorijal 19 (1995), S. 107–120.
80 Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und
Länder, S. 76.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303