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117Konflikte
um die Nationalisierung
schen – und im Besonderen: den kirchlichen – Raum. Durch die Sprachen
entstanden nationalistische Vorstellungen, die einen Raum (wie etwa die
»Stadt«) als »nationalen Besitz« nur einem Volk zuschrieben.130
Dem nationalpolitisch aufgeladenen »Stadt«-»Land«-Konfliktnarrativ
wohnten insofern auch kolonisatorische Ansprüche und Sichtweisen inne,131
denn dieses Narrativ begründete kulturrassistische, nationalistische Ansprü-
che auf die Ganzheit eines imaginierten Raumes.132 Der postkolonialen
Kritik solcher Raumimaginationen liegt aber die Annahme zugrunde, dass
sich in der Machtfrage und den Machtkämpfen nationale Unterschiede und
Konkurrenz manifestiert hätten.133 Die Machtkämpfe um die Deutungsho-
heit über den Raum waren aber weniger national, sondern durch die Frage
der politischen und gesellschaftlichen Positionen und die dadurch bedingten
Zugangsmöglichkeiten bestimmt.134 Daher sollen eher die Macht- und nicht
die nationalen Verhältnisse im Vordergrund stehen. Kategorien wie (auf der
einen Seite) »urban«, »liberal« und »italienisch sowie (auf der anderen Seite)
»ländlich«, »klerikal« und »südslawisch« überlappten sich zwar oft,135 aber
wenn sie sich in den öffentlichen Diskursen zu klaren Frontlinien verdich-
teten, verschleierten sie die wahren Machtstrukturen. Diese waren nicht
national bedingt
– sondern nur als Teil einer theatralisierten Politik national
inszeniert oder national interpretiert.136
Der nationalen Markierung (und dementsprechend der nationalen Bean-
spruchung) gewisser Räume lag ein Vokabular zugrunde, in dem die nati-
onalen Zuschreibungen politische und kulturelle Eigenschaften und Posi-
tionen abdeckten. »Italiener« und »Kroaten« bedeuteten in den inner- oder
antikirchlichen Diskussionen keine objektiven Beschreibungen nationaler
Zugehörigkeit, sondern sie standen für politische Positionen oder kulturelle
Eigenschaften. Die südslawischen Bauern betrachteten etwa die »Italiener«
130 Zu den Vorstellungen des »nationalen Besitzes« siehe u. a. Mark Cornwall, The
Struggle on the Czech-German Language Border, 1880–1940, in: The English
Historical Review 109 (1994), S. 914–951, hier S. 919.
131 Verginella, Il paradigma città / campagna, S. 790f. Zur postkolonialen Analyse
der innerhabsburgischen Machtverhältnisse siehe u. a. Heidemarie Uhl, Zwischen
»Habsburgischem Mythos« und (Post-)Kolonialismus. Zentraleuropa als Para-
digma für Identitätskonstruktionen in der (Post-)Moderne, in: Feichtinger u. a.
(Hg.), Habsburg postcolonial, S. 45–54, hier S. 48f.
132 Johannes Feichtinger / Gary B. Cohen, Introduction. Understanding Multi-
culturalism. The Habsburg Central European Experience, in: Dies. (Hg.), Under-
standing Multiculturalism, S. 1–14, hier S. 6.
133 Jan Surman, Postkolonialismus, in: Feichtinger / Uhl (Hg.), Habsburg neu den-
ken, S. 181–187, hier S. 181ff.
134 Peter Niedermüller, Der Mythos des Unterschieds. Vom Multikulturalismus zur
Hybridität, in: Feichtinger u. a. (Hg.), Habsburg postcolonial, S. 69–81, hier S. 79.
135 Milo, Trieste 1830–1870, S. 77.
136 Judson, L’ Autriche-Hongrie était-elle un empire?, S. 586.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303