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145Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
der Messediener die Türe zum Kirchenturm (bewusst oder nicht) zu ver-
schließen vergaß, stiegen einige Dorfbewohner hinauf und schnitten sämtli-
che Seile der Glocken ab. Der Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos
beschrieb angesichts solcher Gewaltakte die Dorfbewohner als ein »bösarti-
ges Volk«.254 Am 29. März 1903 sei sogar während des von fast niemandem
besuchten Gottesdienstes Kot in die Kirche geworfen worden.255
Bischof Nagl versuchte bereits Ende Januar 1903, die Bevölkerung zu
belehren. Am 25. Januar – am Fest der Heiligen Familie – wandte er sich –
wie die österreichische, katholische Tageszeitung Das Vaterland schrieb
– mit
einem »liebevollen, offenen, wenn auch kurzen« Hirtenbrief an die Dorfge-
meinde.256 Der dem Hirtenbrief angeschlossene Kommentar vom Vaterland
drückte sich diesbezüglich pathetisch aus, indem es sich fragte: »Was hat
Jesus Christus, unser Erlöser der nur eine heiligmachende Kirche gestiftet
hat, den Bewohnern von Ricmanje und Log denn zuleide gethan, daß sie ihn
so schnöde verlassen wollen?«257 Bischof Nagl sprach in seinem Hirtenbrief
selbst von »einem Schisma«, als ob das Dorf nicht nur einen Rituswechsel,
das heißt den Übertritt in einen anderen katholischen Ritus gewünscht hätte:
»Tief ins Herz hinein hat es mich betrübt, als ich schon vor Monaten und
auch jetzt wieder hörte, daß einige von Euch ihre Mutter, die katholische Kir-
che, die da ist, die allein seligmachende Kirche, verlassen und zum Schisma
übertreten wollen.«258
Der gewünschte Übertritt zur griechisch-katholischen Kirche hätte kein
Schisma dargestellt, weil sie ebenso dem Papst unterstellt ist. Don Požar
drohte aber schon früher damit, dass ein Verbot des Übertrittes zur grie-
chisch-katholischen Kirche in der Tat zum Schisma, das heißt zum Übertritt
in die Orthodoxie, führen könne.259 Anfang April 1903 entschlossen sich
einige Dorfbewohner in Ricmanje, die Aufnahme in die Orthodoxie beim
serbisch-orthodoxen Bischof in Zara / Zadar zu beantragen. Die Delegation
von fünf Männern aus Ricmanje, die sich in die dalmatinische Stadt auf-
machten, trug die Absicht vor, in die Orthodoxie überzutreten, um im Dorf
altslawische oder muttersprachliche Gottesdienste einführen zu können. Der
serbisch-orthodoxe Bischof von Zara / Zadar zeigte aber wenig Interesse an
der Sache und lehnte das Ansuchen mit dem Argument ab, keinen Geistli-
254 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (3. März 1903), in:
Ebd., 1903/552.
255 Brief von Don Krančič an den Bischof Nagl (30.
März 1903), in: ADT, GO, 1903/1088.
256 Edinost, 28. Januar 1903.
257 Das Vaterland, 4. Februar 1903.
258 Deutsche Übersetzung des Hirtenbriefes, in: Ebd., 4. Februar 1903.
259 Kopie vom Brief von Don Požar an den Hl. Stuhl (20. September 1902), in: ŽAR,
Kosmač, fasc. 4 [keine weitere Nummerierung].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303