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188 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
tet, dass sich die Katholiken künftig »nicht einmal so bekreuzigen werden
wie bis jetzt, sondern mit drei Fingern«, wie es in der Orthodoxie üblich
war.71 Solche Meinungen verstärkten die katholische Bevölkerung in ihren
Ängsten, die katholische Religion (samt Liturgiesprache, religiöser Praxen,
kirchlichen Einrichtungen usw.) verlieren zu müssen. Ein anonym geblie-
bener katholischer Priester beschwerte sich im national-oppositionellen
Blatt Hrvatska darüber, dass sich die Orthodoxen in vielen Dörfern über die
Katholiken wegen der altslawischen Liturgiesprache ständig lustig machen
würden.72 Überall, wo die altslawische Liturgiesprache eingeführt wurde,
dachten die Menschen, dass sie serbisch (»vlachisch«) werden müssten.73 Die
Angst schlug aber besonders in den ausschließlich oder mehrheitlich katho-
lisch bewohnten Dörfern in Gewaltakte um. Nie wurde die serbische Bevöl-
kerung, sondern die kirchlichen und staatlichen Obrigkeiten (Pfarrer, Dorf-
vorsteher, Gendarmen usw.) angegriffen. Die Menschen schrieben ihnen,
die selbst katholisch und kroatisch waren, und nicht den serbischsprachigen
Orthodoxen die angeblichen orthodoxisierenden Tendenzen zu. Im Spät-
sommer 1894 wollten die Einwohner auch in weiteren Ortschaften wie etwa
in Perušič, Klanac oder Aleksinac die Einführung der altslawischen Liturgie-
sprache mit Gewalt verhindern. Diese Dörfer lagen ebenso in der ehemaligen
Militärgrenze – und sie hatten eine ähnliche Demographie hinsichtlich der
konfessionellen Zusammensetzung wie Kriviput: Orthodoxe lebten zwar in
der Umgebung, aber nicht (oder nur kaum) in den betreffenden Ortschaften.
Am 16. August 1894, dem Tag vom Heiligen Rochus, kam es zu Gewalt-
akten, als der Pfarrer in Perušič, Franjo Kovačić, vor der Kirche ankam, um
sich in der Sakristei auf die altslawisch zu lesende Messe vorzubereiten. Die
aus der Gegend versammelten drei- bis viertausend Menschen warfen Steine
auf den Pfarrer.74 Viele Bewohner umzingelten die Kirche und bewarfen alle,
die hineinwollten, mit Steinen.75 Die Messe konnte letztendlich nicht gehal-
ten werden, da Don Kovačić in seine Wohnung fliehen musste. Er hatte zu
Hause weitere Pfarrer aus der Umgebung zu Gast, unter anderem den Pfarrer
von Klanac, Don Lovro Vidaš, der in seiner Kirche später ebenso mit den
antialtslawischen Protesten konfrontiert wurde. Don Vidaš war nach Perušić
gekommen, um die geplante altslawische Messe mit Don Kovačić gemeinsam
71 Bericht der Bezirksverwaltung (kotarska oblast) von Senj (29. Mai 1894), in: Ebd.,
broj 2845 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
72 Hrvatska, 5. Juni 1894.
73 Siehe etwa den Bericht des Pfarrers von Aleksinac, Ante Lukša (22.
August 1894), in:
HDA, ZV, Pr., kut. 487, 1657/1894, broj 149.
74 Bericht des Bezirksvorstehers in Perušič (18. August 1894), in: Ebd., broj 42/pres.,
fol. 7f.
75 Agramer Tagblatt, 22. August 1894.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303