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191Konflikte
im Bistum Senj
Kaludjerovac. Diese Abwanderung aus den Kirchen – und somit aus den
eigenen »Herrschaftsgebieten« – zeigt interessante Ähnlichkeiten mit dem
frühneuzeitlichen »Auslaufen« auf, das heißt einer Praxis, bei der bestimmte
Personen ihre eigenen Orte verließen, um anderswo religiöse Rituale (meis-
tens nach einer anderen Konfession) auszuüben.86 Obwohl die Menschen, die
in Kaludjerovac zur Messe gingen, ihre Konfession nicht verließen (sie blie-
ben weiterhin römisch-katholisch), wollten sie sich der bischöflichen Ent-
scheidung, in allen Kirchen der Gegend altslawische Messen hören zu müs-
sen, entziehen. Dass sie dabei weder ihre konfessionelle Zugehörigkeit noch
die kirchenrechtliche Aufteilung der Pfarreistruktur infrage stellten – wie
es etwa im österreichischen Ricmanje letztendlich passierte (Kapitel 3.2) –,
zeigt die lokale Verbundenheit der Menschen mit ihrer katholischen Reli-
gion, die sie nach ihren bisherigen Gewohnheiten und Traditionen in der
bisher benutzten Sprache erleben und praktizieren wollten. Ihr »Auslaufen«
war also kein aktives Handeln gegen die römisch-katholische Kirche bzw.
die katholische Religion an sich, sondern ein reaktiver Schutzmechanismus.
Der Pfarrer in Kaludjerovac, Don Gršković, stand mit der weltlichen
Macht auf Kriegsfuß: Wie der oppositionelle Parteiführer, Mile Starčević,
noch im Dezember 1893 im Zagreber Parlament (Sabor) beklagte, sei der
Geistliche aus Gospić auf Initiative des Obergespanns von Lika-Krbava in
eine andere »kleinere Ortschaft« verbannt worden,87 womit wahrscheinlich
Kaludjerovac gemeint war. Don Grškovic war ein eindeutiger Anhänger der
nationalistischen Opposition. Während Don Kovačić aus dem Wahlkreis
von Perušić für die ungarnfreundliche Regierungspartei, die Volkspartei
(»Narodna Stranka«), im Sabor saß, gehörte Don Gršković – als einfaches
Mitglied – der oppositionellen »Partei des Rechtes« (»Stranka Prava«) an.
Er wurde daher in den Polizeiberichten als »pravaši« (»Rechtler«), das heißt
Anhänger der Rechtspartei, bezeichnet.88 In der Gegend repräsentierte die
»Stranka Prava« die antiungarische und regierungskritische Opposition,
das Küstenland war eine Hochburg dieser oppositionellen Fraktion.89 Viele
Priester, besonders aus dem niederen Klerus, schlossen sich dieser Partei
und nicht der vom hohen Klerus (etwa von Bischof Josip Jurij Strossmayer)
geprägten anderen Oppositionskraft, der Unabhängigen Volkspartei (»Neo-
visna Narodna Stranka«), an.90 Die altslawische Liturgiesprache wurde eher
86 Über das »Auslaufen« siehe etwa Benjamin J. Kaplan, Cunegonda’s Kidnapping.
A Story of Religious Conflict in the Age of Enlightenment, New Haven / London
2014, S. 79f.
87 Agramer Zeitung, 21. Dezember 1893.
88 Bericht des Großgespanns von Lika-Krbava (19. August 1894), in: HDA, ZV, Pr.,
kut. 487, 1657/1894, broj 1104, fol. 6.
89 Gross, Povijest pravaške ideologije, S. 206.
90 Ebd., S. 265f.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303