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199Konflikte
im Bistum Senj
zusetzen. Die kroatische Nation als Einheit war nicht nur unterschiedlich
– je
nach den verschiedenen, elitären Parteien – konzipiert,123 sondern sie war
auch eine Idee von oben, der sich weite Teile der kroatischsprachigen Gebiete
der Donaumonarchie erst im Laufe des 20.
Jahrhunderts anschlossen.124 Der
Nationalismus – oder im kroatischen Falle besser gesagt: die verschiedenen
innernationalen Nationalismen – dürfen nicht mit der Nation gleichgesetzt
werden: Menschen können ein Zugehörigkeitsgefühl haben, ohne sich dabei
nationalistisch zu verorten.
Ihrer nationalen Zugehörigkeit waren sich die Bauern in Lika-Krbava
bewusst.125 Die Dorfbewohner stellten im Dorf Klanac im Sommer 1894 der
Einführung der altslawischen Liturgiesprache die klare Forderung entgegen:
»Wir wollen nichts anderes, als das Kroatische«.126 Statt nationaler Indiffe-
renz stellen sich daher vielmehr die Fragen, was die Bewohner vor Ort mit
ihrem »Kroatisch-Sein« meinten und wovor sie Angst hatten. Sie erlebten die
Einführung der altslawischen Liturgiesprache als Affront gegen ihre Identi-
tät und Sprache.127 Sprachlich waren sie keineswegs indifferent.
Jenseits der elitären Diskurse bedeutete das Bewusstsein, kroatisch
und katholisch zu sein, auf der lokalen Ebene eine starke Bindung an das
gewohnte Leben. Die ländliche Abwehr formierte sich nicht national, son-
dern territorial. Denn die »Nation« (d.h. eine Gemeinschaft von voneinander
weit gelegenen »Nationsbrüdern«) blieb für die lokale Ebene eine eher fremde,
abstrakte Idee.128 Der Erfahrungs- und Erwartungshorizont, nach dem die
Bauern die externen Einmischungen zu verstehen versuchten, war begrenzt.
Die Begrenztheit lässt sich darin erkennen, dass die Einwohner ihre Dörfer
als die »Welt« wahrnahmen. Ein gewisser Toma Faljević aus Perušić forderte
123 Die kroatische Nation hatte vollkommen unterschiedliche Bedeutungen in den
Diskursen der Illyristen, der Jugoslawisten, der Partei des Rechtes (pravaštvo), der
Bauernpartei und der Sozialdemokratie; vgl. Mirjana Gross, Croatian National-
Integrational Ideologies from the End of Illirism to the Creation of Yugoslavia, in:
Austrian History Yearbook 15 (1979), S. 2–33, hier S. 4.
124 Mirjana Gross, O integraciji hrvatske nacije [Von der Integration der kroatischen
Nation], in: Dies. (Hg.), Društveni razvoj u Hrvatskoj, S. 175–190, hier S. 180ff.
125 Darüber, dass unterschiedliche Nationskonzepte in den ländlichen Gegenden der
Habsburgermonarchie kursierten, siehe am Beispiel von Galizien u. a. Stauter-
Halsted, Nation in the Village, S. 8, 185f.
126 Bericht des Gemeindevorstehers von Klanac (20. August 1894), in: HDA, ZV, Pr.,
kut. 487, 1657/1894, broj 3437 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
127 Wie noch in diesem Kapitel zu zeigen sein wird, konnten die kroatisch-nationa-
listischen Diskurse die lokale Angst vorm Verlust der kroatischen und katholi-
schen Identität – sprich: die Angst vor Orthodoxisierung / Serbisierung – stärken,
weil einige kroatisch-nationalistische Ideen die Nähe an das orthodoxe Serbentum
betonten.
128 Pieter Judson, Nationalizing Rural Landscapes in Cisleithania, 1880–1914, in:
Nancy M. Wingfield (Hg.), Creating the Other. Ethnic Conflicts and Nationalism
in Habsburg Central Europe, New York 2003, S. 127–148, hier S. 130.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303