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218 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Nach der städtischen Demonstration begab sich Don Zigar letztendlich
nach Ledenice,193 einem kleinen Dorf an der kroatischen Adriaküste neben
Novi, wo er angeblich mit Demonstrationen erwartet worden sei.194 Diese
Nachricht hätte wiederum das nationale Narrativ des Konfliktes betonen
sollen: Wenn die Erzählung »kroatisches Dorf gegen national indifferenten
Priester« in Drenova nicht wirkte, hätte es zumindest in Ledenice, einem
nicht nur kroatisch bewohnten, sondern zu Kroatien gehörenden Dorf,
funktionieren sollen. Aber gerade die Tageszeitung Riječki Novi List – oder
besser gesagt: ein Leser der Zeitung – dementierte diese Nachricht in einem
Leserbrief: »gegen diesen Žigar oder Cigar oder wie er sonst heißt« habe es in
Ledenice keine Demonstration gegeben, weil »die Ledeniceaner ruhige und
anständige Bauern sind«.195 Nachdem Don Zigar weggegangen war, blieb
das Dorf ohne Priester. Die liberale Tageszeitung La Bilancia wunderte sich
heuchlerisch ob der so entstandenen Situation in einem sonst tiefreligiösen
Dorf:
Drenova ist heute ohne Priester. In einer hoch entwickelten und ziemlich atheistisch
eingestellten Stadt würde ein solcher Zustand, ehrlich gesagt, kein großes Problem
darstellen, aber in unserer Untergemeinde, wo das religiöse Gefühl noch lebendig ist,
wo der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und an die Existenz einer jenseitigen
Welt noch gelebt ist, ist so ein Zustand nicht weniger als eine Ungeheuerlichkeit.196
Mitte
August 1908 fand die traditionelle Prozession der Drenovaer statt: Die
Dorfbewohner reisten wie jedes Jahr in die Stadt. Diesmal wurden sie aber
dort von niemandem aus der katholischen Kirche empfangen. Die Kirchen-
glocken läuteten nicht, und keine Messe wurde im Dom zelebriert. Nach
den Informationen von La Bilancia habe Don Kukanić allen Priestern in der
Stadt angeordnet, der Prozession nicht beizuwohnen. Die traurigen Dorfbe-
wohner gingen letztendlich in eine andere Kirche oberhalb der Stadt, wo sie
allein den Rosenkranz beteten.197 Die sonst antiklerikale Tageszeitung der
Autonomisten, La Voce del Popolo, zeigte sich über die verletzten religiösen
Gefühle der Dorfbewohner paternalistisch besorgt. Das Blatt erkannte die
Möglichkeit, den Fall – statt eindeutig antiklerikal – »nur« antikroatisch zu
behandeln, um sich sogar als Schützer wahrer religiöser Gefühle gegenüber
der »kroatischen« Kirche positionieren zu können: »Unsere guten Bauern
können religiöse Tröstung nicht nur in Drenova, sondern auch in Fiume
193 Zigar teilte seine am 12. August 1908 erfolgte Abreise dem Stadtmagistrat mit
(13. August 1908), in: DAR, Magistrato, Op.Sp., D-57-1897 – 18486.
194 Budapesti Hírlap, 18. August 1908.
195 Riječki Novi List, 29. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
196 La Bilancia, 12. August 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
197 Ebd., 17. August 1908.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303