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219Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
nicht finden. […] [D]er kroatische Klerus betrachtet die Drenovaer als recht-
los und er behandelt sie tatsächlich wie Hunden in der Kirche.«198
Die kroatischsprachigen Zeitungen machten sich dagegen darüber lustig,
wie sich die antiklerikalen Kreise plötzlich im Interesse eines Priesters, des
»armen, elenden Don Zigar«, betätigten.199 Als sich der antiklerikale Politi-
ker Zanella für die Gläubigen im Dorf einsetzte,200 bezeichnete ihn das kro-
atischsprachige Riječki Novi List sarkastisch als »frischgebackene[n] große[n]
Katholik[en] und Missionar«.201 Die irredentistische, antiklerikale Giovine
Fiume war hingegen offener und ehrlicher in seinem Antiklerikalismus: Die
Zeitung fand, bei dem Fall um Don Zigar handele es sich um »eine dumme
Angelegenheit«, weil »es eigentlich um einen Priester geht«.202 Das Blatt
räumte ein, dass es keine Sympathie für irgendwelche kirchlichen Personen
hegen könne und dass es sich in einer kirchlichen Angelegenheit ungern posi-
tioniere – auch wenn der Fall nationale Konnotationen hervorrufen könne.
Auch wenn die Dorfgemeinschaft in Drenova den »klerikalen« Erwartun-
gen nicht entsprach, wurde der katholische Glaube im Dorf nicht abgelehnt,
sondern ohne kirchliche Mitwirkung weiter praktiziert. Die Dorfbewohner
übernahmen einige kirchliche Aufgaben wie etwa Taufen: Es wurde
– ähnlich
wie in Ricmanje (Kapitel 3.2.2) – »zivil« (aber nicht religionslos) getauft.203
Während die Amtskirche ein polizeiliches, sogar mit Gewalt durchzusetzen-
des Verbot der angekündigten »Ziviltaufen« forderte, vertrat Budapest die
Linie, dass die »Ziviltaufen« zwar politisch motiviert204 und gesetzwidrig,205
198 La Voce del Popolo, 19. August 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
199 Riječki Novi List, 8. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
200 Zanella wurde dadurch im Dorf nicht beliebter, wie sich etwa aus dem Vorfall in der
Wahlkampagne von 1911 zeigte, als er als Kandidat der Autonomistischen Partei
während seines einzigen Versuchs, auch in Drenova eine Wahlveranstaltung abzu-
halten, von der Menge, die in die Kirche ging, ausgepfiffen und verjagt wurde; vgl.
Agramer Zeitung, 6. März 1911.
201 Riječki Novi List, 1. September 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
202 Giovine Fiume, 22. August 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
203 Vikar Cvetko informierte Gouverneur Nákó im Voraus über die geplanten Zivil-
taufen; vgl. Telegramm von Cvetko (22. August 1908), in: DAR, Gubernij, Pr.Sp.,
kut. 34, 1908/161.
204 Gouverneur Nákó verortete die Nachricht – also den Wunsch der Dorfbevölke-
rung, auch ohne Priester den religiösen Ritualen treu zu bleiben – entlang natio-
nalpolitischer Frontlinien. Er verstand die Ziviltaufe nicht etwa als (pseudo)reli-
giöse Handlung unpolitischen Charakters, sondern als politischen Akt gegen die
kroatischen Priester: »Die Abhaltung der zivilen Taufe hat meiner Meinung nach
rein politischen Protestcharakter gegen den der kroatischen Propaganda dienenden
Klerus in Senj, dessen gnadenlose und taktlose Vorgehensweise […] die Empörung
verursachte«; vgl. Brief des Gouverneurs an den ungarischen Minister für Kultur
und Bildung (31. August 1908), in: Ebd., 1908/168 [übersetzt aus dem Ungarischen
von mir].
205 Staatssekretär Tóth an den Gouverneur Nákó (25.
August 1908), in: Ebd., 1908/166.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303