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220 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
aber mit Gewalt nicht zu verhindern seien.206 Gouverneur Nákó meinte
bezüglich einer möglichen Gewaltanwendung, »dass die polizeiliche Gewalt
die Gemüter noch mehr vergiften würde«.207 Er machte sich Sorgen, dass
die katholische Kirche in der Stadt auf tiefere Ablehnung stoßen würde, falls
man sogar die Polizei gegen die Bevölkerung in Drenova einsetzen würde.
Deswegen schloss er jegliche polizeiliche Gewalt aus.208
La Bilancia bemerkte bezüglich der »zivilen« Taufen sarkastisch, dass sie
beweisen würden: »es geht wunderbar auch ohne Priester«, weil »Gott über-
all ist«.209 Die sozialdemokratische Tageszeitung aus Budapest, Népszava,
hoffte ob der »Ziviltaufen« sogar auf eine antireligiöse Wende in der Fium-
aner Untergemeinde: »[D]ie Gläubigen sehen ein, dass sie für diesen Hokus-
pokus nicht mehr zu zahlen haben. Zuerst bewältigen sie es selber umsonst,
dann werden sie sich die Zeremonien ganz abgewöhnen.«210 Um den Fall als
vollkommene Ablehnung der bestehenden (religiösen, kirchlichen) Ordnung
darstellen zu können, berichtete die antiklerikale Zeitung La Voce del Popolo
der Autonomisten triumphierend darüber, dass angeblich ein Übertritt zur
calvinistischen (reformierten) Kirche in Drenova erwogen worden sei.211
Auch das liberale Budapesti Hírlap aus der ungarischen Hauptstadt will von
einer solchen Initiative erfahren haben: Don Zigar sei demnach im Dorf auf-
gefordert worden, zum Calvinismus überzutreten, damit er als reformierter
Pastor ins Dorf zurückkehren könne.212 Somit hätte die Geschichte eine ähn-
liche Wende genommen wie in Ricmanje. Eine solche Initiative kommt aber
in keinen Quellen vor, nur die italienisch- und ungarischsprachigen Blätter
verbreiteten dieses Gerücht. Die Dorfbewohner wollten nicht proaktiv eine
neue Ordnung etablieren – sondern reaktiv die alte Lage, das heißt ihren
alten Pfarrer, zurückhaben.
Bereits im August 1908 gab es Versuche, in Drenova wieder katholische
Messen abzuhalten: Don Luigi Torcoletti fuhr aus Fiume / Rijeka nach Dre-
nova, um in der Kirche eine Messe zu lesen, aber als er ankam, versammelte
sich eine größere Menge – wie die italienischsprachigen Zeitungen der Stadt
berichteten –, die ihn auspfiff und verjagte. Don Torcoletti suchte zuerst bei
der örtlichen Gendarmerie Zuflucht, und später – nachdem er sich getraut
206 Staatssekretär Tóth an den Gouverneur Nákó (29. August 1908), in: MNL OL, ME,
FÜ K26, 1908/3897.
207 Gouverneur Nákó an den ungarischen Minister für Kultus und Bildung (28.
August
1908), in: DAR, Gubernij, Pr.Sp., kut. 34, 1908/166 [übersetzt aus dem Ungarischen
von mir].
208 Kopie des Briefes des Gouverneurs an den Vikar von Novi (4. September 1904),
in: Ebd., 1908/187.
209 La Bilancia, 14. August 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
210 Népszava, 23. August 1908 [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
211 La Voce del Popolo, 19. August 1908.
212 Budapesti Hírlap, 26. August 1908.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303