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223Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
zu kommen. Als sie aber schon ein Fenster eingebrochen hätten, hätten sich
andere Einwohner versammelt und die Einbrecher aus dem Dorf verjagt. Der
Stadtmagistrat ließ den Kirchenschlüssel danach nicht mehr im Dorf aufbe-
wahren, sondern er versteckte ihn im Rathaus. Was meinte aber die Zeitung
damit, dass »die Kroaten« den Kirchenschlüssel haben wollten? Das Dorf
war fast ausschließlich kroatischsprachig, insofern war diese Bezeichnung
wiederum ein Versuch, die inneren Spaltungen, die mit nationalen Identitä-
ten nichts zu tun hatten, in nationalpolitische Gegensätze umzudeuten.
Nicht die Nationalität, sondern die Frage, ob und wie das katholische Leben
wiederhergestellt werden könne, polarisierte das Dorf. Hätten die Dorfbe-
wohner die Rückkehr zu ihrem gewohnten Leben von der Öffnung der Kir-
che oder von der Beharrung auf den Widerstand erwarten können? Einige
betrachteten die gesperrte Kirche als Chance, endlich Druck auf die kirch-
liche Obrigkeit auszuüben; andere hätten die Öffnung der Kirche begrüßt,
weil das Kirchenleben des Dorfes sonst vernachlässigt werde. Im Dezem-
ber 1908 erreichten zwei Briefe den Stadtmagistrat in Fiume / Rijeka. Im
ersten Brief forderten 63 Einwohner die Wiedereröffnung der Kirche, weil
die Schließung »schweren Nachteil für unsere religiösen Gefühle« mit sich
zöge;223 im zweiten Brief sprachen sich 158 Einwohner dafür aus, dass die
Kirche weiterhin geschlossen bleibe, »solange die kirchlichen Fragen nicht
endgültig gelöst sind«.224
Im Januar 1909 berichtete das Il Popolo darüber, dass einige Dorfbewoh-
ner – nachdem ihnen der Stadtmagistrat den Kirchenschlüssel nicht aus-
gehändigt hatte – einem Fiumaner Priester ein Privathaus in Drenova zur
Verfügung gestellt hätten, damit er eine Messe zelebrieren könne.225 Ein
paar Tage später sei ein anderer Priester, Don Petrović, nach Drenova gegan-
gen, um im selben Privathaus wieder eine Messe zu zelebrieren. Dieses Mal
hätten sich die Menschen nicht versteckt – im Gegenteil: Drenova sei sogar
mit ungarischen und Fiumaner Farben beflaggt worden, um den Priester
zu begrüßen.226 Nach der Messe habe Don Petrović zwei Kinder katholisch
getauft.227 Die Gottesdienste waren freilich meistens nicht so öffentlichkeits-
wirksam gestaltet. Im September 1909 habe eine heimliche Messe sogar nur
um Mitternacht stattfinden können, damit die Mehrheit des Dorfes davon
nichts erfahre. Die italienischsprachigen Zeitungen der Hafenstadt rechne-
223 Brief (9. Dezember 1908), in: DAR, Magistrato, Op.Sp., D-67-1908 – 27022 [über-
setzt aus dem Italienischen von mir].
224 Brief [ohne Datum, wahrscheinlich kurz nach dem ersten Brief], in: Ebd., D-67-
1908 – 27108 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
225 Il Popolo, 2. Januar 1909.
226 Ebd., 6. Januar 1909.
227 La Bilancia, 7. Januar 1909.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303