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248 Konfliktdynamiken
Nicht nur national, sondern auch religiös indifferent wurden einige Taten
lokaler Akteure wahrgenommen. Wenn sich Kirchgänger in den Dörfern
von Lika-Krbava weigerten, altslawische Messen zu besuchen, oder wenn
die katholischen Dorfbewohner in Drenova Taufen ohne Priester organi-
sierten, oder wenn mehrere Menschen in Ricmanje, Log und Boljunec aus
der römisch-katholischen Kirche austraten, wurden sie als »religiös indif-
ferent« oder sogar »antireligiös«, »antikatholisch« beschrieben. In Drenova
oder stärker in Ricmanje erfreuten sich die Dorfbewohner deswegen einer
fragwürdigen Beliebtheit in den antiklerikalen, sogar atheistischen Diskur-
sen, die die Akte der Dorfbewohner (besonders die »zivil« gehaltenen, »reli-
giös« gemeinten Zeremonien oder die Über- und Austritte) als Zeichen einer
lokalen Säkularisierung, als Abkehr von der Religiosität verstanden und lob-
ten. Diesen Diskursen lag ebenso eine dichotomische Logik zugrunde wie
der Bipolarität »Nationalismus oder nationale Indifferenz«: Entweder seien
die Menschen »gute Katholiken« (falls sie den klerikalen Erwartungen der
kirchlichen Obrigkeiten folgten), oder sie seien »religiös indifferent« / »säku-
larisiert« / »antikatholisch« / »atheistisch« (falls sie von diesen klerikalen
Erwartungen abwichen). In einer solchen Perspektive geht aber gerade die
eigentliche Intention der lokalen Akteure verloren, die weder die klerikalen
Erwartungen hundertprozentig erfüllen noch den katholischen Glauben aus
antiklerikalen oder ähnlichen Gründen verlassen wollten.
Wie lassen sich aber die priesterlos durchgeführten, »religiös« gemeinten
Zeremonien in Ricmanje oder Drenova begreifen? Bedeuteten sie nicht eine
klare Abkehr von der Religiosität, also eine Art Säkularisierung der ländli-
chen Ebene? Mit den »zivilen« Zeremonien wurde die Religion – im Sinne
von Niklas Luhmann20 – privatisiert, das heißt einer breiteren Auslegung
freigegeben. Ich begreife – in Anlehnung an die diesbezügliche Theorie von
Christoph Kleine – die »zivilen«, pseudo- oder semireligiösen Zeremonien
als non-konforme Handlungen, die sich zwar religiös verstanden, aber kei-
nen Normen einer institutionalisierten Religiosität (das heißt einer Kirche)
fügten. Kleine führt die Begrifflichkeit von »religiöser Nonkonformität« und
»religiösem Nonkonformismus« ein. Während die »religiöse Nonkonfor-
mität« normabweichendes Handeln innerhalb einer akzeptierten Ordnung
bedeutet, definiert Kleine den »religiösen Nonkonformismus« als wertra-
tionale Gesinnung oder Handlung, die die bestehende Ordnung ablehne
oder sie sogar beseitigen wolle.21 Der »religiöse Nonkonformismus« leugnet
also die Legitimität der bestehenden Ordnung.22 Im Gegensatz zum »religi-
20 Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 224.
21 Christoph Kleine, »Religiöser Nonkonformismus« als religionswissenschaftliche
Kategorie, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 23 (2015), S. 3–34, hier S. 11f.
22 Ebd., S. 17.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303