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ein Dorn im Auge? Oder wollte er Knoll eine Machtdemonstration geben?54 Der
vetrauliche Ton des Briefes von Dekan Hans Lentze an Knoll, noch am selben Tag
verfasst wie Graßbergers Intervention, nährt jedenfalls die Vermutung, dass hinter
den Kulissen mehr auf dem Spiel stand als nur die Platzierung von Ford:
„Wie ich es vorausgesehen habe, hat bei der Abstimmung im Umlauf Kol-
lege Grassberger die Verweisung an die Sitzung beauftragt. Er hat in den
Antrag auf Verweisung zur Sitzung hereingeschrieben, daß er von Dir eine
gutächterliche Äußerung über Prof. Ford auf Grund eigener Literatur-
kenntnisse wünscht. Ich wäre Dir für eine Stellungnahme dankbar, die ich
in der Fakultätssitzung am 22. d. M. vorbringen könnte.“55
Bleiben die Fragen auch ungeklärt, so bietet der Fall doch einen seltenen Einblick
in die realen Vorgänge. Graßberger erreichte eine Verhandlung des Streitpunk-
tes in der nächsten Kollegiumssitzung. Zu allem Überdruß konnte Knoll der Auf-
forderung nicht nachkommen, ein Gutachten über Ford vorzulegen. So stimmten
die am 22. März in der Kollegiumssitzung anwesenden Professoren gegen Ford als
Gastprofessor.
War Graßbergers Intervention also erfolgreich? Vier Tage nach der Sitzung
richtete Dekan Lentze ein aufschlussreiches Schreiben an seine Kollegen:
„In der letzten Fakultätssitzung […] hat die Fakultät einstimmig [sic!] den
von der Fulbright Commission vorgeschlagenen Gastprofessor Ford abge-
lehnt. Ministerialrat Dr. Hoyer hat darauf mich angerufen und mir mit-
geteilt, ich möge nochmals eine Abstimmung im Umlaufwege durchführen
lassen; die Ablehnung von Prof. Ford würde eine Belastung der österr.-ame-
rikanischen Wissenschaftsbeziehungen bedeuten. Er würde darum beson-
ders Wert auf die Annahme von Prof. Ford legen. Da mir die Angelegenheit
nicht so wichtig erscheint, um einen solchen Konflikt herbeizuführen, stelle
ich den Antrag, Prof. Ford doch aufzunehmen. Wer für die Annahme von
Prof. Ford ist, möge mit ‚ja‘ stimmen, wer ihn ablehnt, mit ‚nein‘.“56
Diplomatische Befindlichkeit übertrumpfte akademische Autonomie: Zwei Tage
später schon konnte der Dekan ein Schreiben an die Fulbright Commission schi-
cken:
„Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien hat
beschlossen, Prof. Joseph B. Ford, außerordentlicher Professor für Sozio-
logie am Los Angeles State College in Kalifornien als Gastdozent unter dem
Fulbright Programm 1958/59 anzunehmen.“57
Im Zeitraum von nur wenigen Tagen sprach sich das Kollegium zuerst gegen eine
Platzierung aus, um diese dann auf Druck von außen sofort zu revidieren. Und all
das, wo mit Alfred Verdroß-Droßberg weiterhin ein ehemaliges Mitglied der Kom-
mission im Professorenkollegium dieser Fakultät vertreten war (auch wenn aus
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Untertitel
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Autor
- Thomas König
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Abmessungen
- 15.8 x 23.9 cm
- Seiten
- 190
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117