Seite - 53 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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Kirche und der Großen Freiheit verdeutlicht, zum anderen erscheint das
Lied im Blick auf die Veränderungen, die die Corona-Pandemie mit sich
bringt, geradezu tre!end.
In der nächsten Szene führt ein goldenes Kreuz die christliche Kirche
ein. Auf der Tonebene sind die ersten Takte von Johann Sebastian Bachs
Toccata und Fuge in d-Moll zu hören. Durch die Musik wird in der Mon-
tage eine dramatische, ernstha#e Stimmung erzeugt. Das berühmte Werk,
das aus der lutherischen Tradition stammt, wurde durch vielfache Bezüge
in der Populärkultur zum Symbol religiöser Pathetik. Dieser bekannte
Verweis wird auch in dieser Reportage über die katholischen Gemeinden
St. Theresien und St. Joseph Altona eingesetzt. Die Kirche wird als verlas-
sener Ort ohne Besucher:innen dargestellt, die Stimme aus dem O! ver-
stärkt diesen Eindruck:
Jetzt spielt Kantonist Klaus-Werner Held alleine vor leeren Rängen.
Wir sehen den Kantor, der die Toccata an der Orgel spielt und erfahren,
dass die Aufnahmen am Palmsonntag gemacht wurden. Der Kantor, der
als Person tiefer Überzeugungen dargestellt wird, zieht Verbindungen zwi-
schen der aktuellen Situation und dem Kirchenjahr:
Die Menschen fehlen, die Stimmung fehlt, aber irgendwie passt es
dann doch zu den Tagen, die vor uns liegen, die ja für Christen auf die
Kreuzigung zuführen und in der dann im Ende!ekt auch die Ho!-
nung für die Christenheit steckt, nämlich Auferstehung. Das ist für
mich – Sie merken, mir kommen fast die Tränen – das ist schon fast
eine Erlösung, statt zu Hause zu sitzen, wenn ich hier an der Orgel sit-
zen kann.
Auch der Pfarrer deutet die Krise im Kontext der Leidensgeschichte Jesu.
Wir sehen Karl Schultz, der die Eucharistie vorbereitet: Er richtet die Ga-
ben her, segnet sie, trägt sie zum Altar, entzündet eine Kerze, legt eine Sto-
la an und feiert in Anwesenheit von nur zwei Personen die Messe. Auf der
Tonebene ist der Pfarrer zu hören:
Das Besondere ist, dass [wir] das, was wir sonst im Wort gestalten, heu-
te tatsächlich vollzogen haben. Denn Jesus ist vor 2000 Jahren diesen
Weg auch alleine gegangen. Und das ist für mich etwas ganz Besonde-
res, diese Nähe zum eigentlichen Geschehen zu haben. Dass bestimm-
te Wege im Leben wir allein gehen müssen.
Durch die ausführliche Darstellung der rituellen Handlungen veranschau-
licht die Dokumentation, was in der Kirche passiert, wie der Gottesdienst
abläu# und verdeutlicht auch, dass dieses Ritual als wichtig erachtet wird.
Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133