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Erst die Person im Schutzanzug hebt durch Kontrast hervor, wie nor-
mal der Priester, der den Segen spendet, angezogen ist. Er trägt die übli-
chen liturgischen Gewänder, eine violette Stola und eine weiße Tunika,
die Albe. Violett ist die liturgische Farbe für Zeiten der Buße und der Vor-
bereitung, wie die Adventszeit vor Weihnachten oder die Fastenzeit vor
Ostern. Sie wird auch für Begräbnisse und Todesrituale verwendet.
Die weiße Farbe ist in verschiedenen Kleidungspraktiken unterschied-
lich konnotiert: Reinheit, Licht und Göttlichkeit auf der einen Seite, Sau-
berkeit und Desinfektion auf der anderen. Der komplett verhüllte Soldat
im weißen Schutzanzug ist eine Fachkra#, die dafür sorgen muss, dass die
Kirche desinfiziert wird. Er gehört zum staatlichen Dispositiv zur Bekämp-
fung der Epidemie und hält die strengsten Hygieneregeln ein, die dafür
vorgesehen sind: abgedichteter Schutzanzug mit Kapuze und Mundschutz
sowie Schutzbrille. Damit wird ein ganz anderer Zugang zum Tod sichtbar
gemacht als bei der Handlung des Priesters: Der Tod ist eine Gefahr, die
unter Kontrolle gehalten werden muss. Es geht hier um den Kampf gegen
das Virus und gegen mögliche Infektionsherde. Die Handlung des Armee-
angehörigen ist Teil einer anderen Logik im Umgang mit der Pandemie
als jene des Priesters. Putzen mit desinfizierender Flüssigkeit auf der einen
Seite, Segnen mit Wasser auf der anderen. Beide Maßnahmen haben mit
Schutz zu tun, gehören aber zu unterschiedlichen Weltanschauungen: das
Weihwasser unterstreicht die Segensworte, die den Toten in der jenseiti-
gen Reise begleiten, während das Desinfektionsmittel mögliche Krank-
heitserreger gemäß wissenscha#lichem Wissen zerstört.
Ein ungewohnter Trauerumzug mit Militärlastwagen
Dies zeigt sich auch anderswo: Eindrücklich ist der Transport der Leichna-
me. Dafür werden der Zivilschutz, die Armee und die Polizei aufgeboten.
Die Särge werden in Gruppen von sechs in die Militärlastwagen geladen,
um in Städten der Emilia Romagna, etwa 200 km entfernt, eingeäschert zu
werden. Während die Symbole und Rituale, die in den fotografischen und
audiovisuellen Innenaufnahmen der Kirche hervorgehoben werden, das
Leiden der Menschen, die Passion Jesu und die Ho!nung auf ein strahlen-
des Jenseits evozieren, steht die staatliche Intervention im Zentrum der
Bilder, die außerhalb des sakralen Gebäudes aufgenommen wurden. Zwei
italienische Flaggen hängen links und rechts des Eingangs der improvisier-
ten Leichenhalle. Die staatlichen Sicherheits- und Schutzbehörden sind
vor Ort, bewerkstelligen die Organisation und die tadellose, e"ziente Ent-
sorgung der Verstorbenen. Die unterschiedlichen Uniformen deuten auf
Der Tod als mediale Inszenierung
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133