Seite - 106 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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zur Erneuerung bedeuten, dass dem politischen Handeln Grenzen ge-
setzt sein müssen, da es sonst zum Machtmissbrauch und zum Crash
führt.
Die religiösen Anspielungen und Zitate fallen besonders auf. Sie werden
zur Verstärkung der Hauptthesen eingesetzt. Sie unterstreichen starke ne-
gative Emotionen gegen den Staat und die – in den Augen des Verfassers –
übervorsichtigen Maßnahmen. Der Staat wird zum Mephistopheles stili-
siert und alle Aktionen, die die Wirtscha# einschränken, sind ein Akt des
babylonischen Hochmuts. Den Ausweg bieten die Arbeit und der Erhalt
bestehender Systeme. Der Mensch soll nicht erwarten, dass sein Leben op-
timal geführt werden könne, es werde immer fette und magere Jahre ge-
ben. Aber eine erstrebenswerte Zukun# könne nur durch den Erhalt der
Geldflüsse gewährleistet werden, nicht durch den Schutz menschlicher Ge-
sundheit.
«Der Notstand-Staat»
Der zweite Artikel, auf den Assheuer antwortet, ist von Hans Ulrich Gum-
brecht. Er trägt den Titel Der Notstand-Staat und erschien ebenfalls in der
Neuen Zürcher Zeitung Der Beitrag setzt mit der Kritik der Menge und der
Qualität moderner Information zur Corona-Pandemie ein. Dabei werden
drei Entwicklungen beschrieben: das Fehlen von «religiös getönten Reak-
tionen», das Fehlen intellektueller Expertisen und die zunehmende Zen-
tralität des Staates. Die negativen Aspekte des Umgangs mit der Pandemie,
der als Einmischung ins Privatleben durch den Staat aufgefasst wird, wer-
den betont. Die eingreifende Regulierung des Verhaltens der Bevölkerung
würde die Freiheit einschränken. Es wird ein Bild des Staates als Herrscher
entworfen, dessen Willkür die Bevölkerung ausgesetzt sei:
Der Staat im klassischen Sinn als Souverän über einen genau um-
schriebenen Raum, der Staat, dessen Eingri!e in ihr eigenes Leben
sich die meisten Bürger bis vor kurzem verbitten wollten.
Bemängelt wird dabei nicht nur die Durchsetzung, sondern auch die Un-
durchsichtigkeit der Maßnahmen. Gumbrecht stellt das, was er als Gleich-
heitsprinzip bezeichnet, als ein Risiko dar. Die notwendig zu stellende
(rhetorische) Frage, ob ein Gleichheitsprinzip, das die ältere Bevölkerung
retten soll und die Zukun# der jüngeren gefährden würde, tatsächlich als
eine Option erwogen werden soll, kennzeichnet er selbst als Tabubruch.
Gumbrecht beantwortet diese Frage nicht, sondern prognostiziert, dass die
Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133