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Meyers Absicht ist deutlich: Die Corona-Pandemie führt zu einem Nie-
dergang der autonom operierenden kapitalistischen Märkte. Gesellscha#li-
che Organisationsinstrumente müssen folglich umgebaut und staatlich-
ideologische Ordnungen neu gedacht werden. Meyer spitzt es in seiner
Analyse zu, wenn er schreibt:
Doch leider ist dieser so überaus kreative und lukrative Kapitalismus
seit je falsch aufgezäumt, ein ungestümes Pferd, von verantwortungslo-
sen Jockeys gehetzt und zuschanden geritten, wie Corona und Klima
gerade sichtbar machen.
Seine philosophisch-anthropologische Reflexion geht von der Beziehung
des Menschen zur Welt und Gesellscha# und von individuellen und kol-
lektiven Bedürfnissen und Ho!nungen aus. Durch die Pandemie werden
die Übereinstimmungen dieser Bedürfnisse mit den aktuellen gesellscha#-
lichen Konstellationen hinterfragt. Der Artikel endet mit der o!enen Fra-
ge, wie eine ökonomisch gerechte und ideologisch bessere Welt nach der
Krise aussehen könnte.
Sprache als Werkzeug der Zukun#
Es ist besonders spannend, auf die zahlreichen Metaphern zu achten, die
der Autor sorgfältig auswählt, weil sie das Wirkungspotenzial der journa-
listischen Beschreibung erst ermöglichen. Sprachbilder und metaphorische
Anspielungen inszenieren hier eine bewusst gewählte Unschärfe.
Sprache im Allgemeinen und Metaphern im Speziellen bilden nicht nur
Realität ab, sondern sie prägen und gestalten sie. Der Philosoph Hans Blu-
menberg unterscheidet in seinem Werk Paradigmen zu einer Metaphorologie
zwischen alltäglichen und absoluten Metaphern. Unter ersteren versteht er
Metaphern, die als Versuche der Prägung von neuen oder noch nicht klar
definierten Begri!en in einem Kollektiv verhandelt werden. Absolute Me-
taphern hingegen entziehen sich dieser gesellscha#lichen Verständigung
und bleiben in ihrer Unschärfe bestehen. Als Illustration dieser
sprachtheoretischen Reflexion kann auf «Welt» hingewiesen werden: Ob-
wohl es unmöglich ist, «Welt» begri&ich zu definieren, kann diese Meta-
pher als lebensweltlicher oder wissenscha#licher Bezugspunkt verwendet
werden.
Absolute Metaphern können als sprachlich elementarste Formen eines
Bezugs zur Transzendenz verstanden werden. Sie benennen keinen Gegen-
stand oder theoretischen Begri! auf konkrete Weise, sondern bewegen
sich in den Randgebieten sprachlicher Möglichkeiten; sie lauern im Hin-
Ausblicke ins Ungewisse
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133