Seite - 130 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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«Schöpfung» ist eine weitere absolute Metapher, die in den abrahamiti-
schen Religionen die kreativen Handlungen Gottes bezeichnet. Demnach
gehen die Entstehung des Kosmos, der Erde und schließlich des Menschen
auf die aktive willentliche Entscheidung eines übergeordneten Wesens zu-
rück. Im Buch Genesis liegen zwei Schöpfungsgeschichten vor, die dieses
Wort in der jüdisch-christlichen Tradition stark prägen. Dabei können der
Schöpfungsvorgang in sieben Tagen und die Erzählung des (verlorenen)
paradiesischen Gartens Eden als metaphorologische Verweise betrachtet
werden.
Eine doppelte narrative Spannung charakterisiert die mythische Sprache
der zwei unterschiedlichen Schöpfungsberichte. «Schöpfung» als Metapher
wird einerseits als ein vergangener Akt der Weltentstehung verstanden.
Andererseits wird «Schöpfung» als fortlaufender Prozess der Stabilisierung
und der zukün#igen Entfaltung gedeutet. Der vergangene Akt der perfek-
ten Erscha!ung wird somit zur prophetischen Vision einer neuen, erlösten
und befriedeten Welt. Gleichzeitig beschreibt «Schöpfung» eine Beziehung
zwischen der schöpferischen Handlung Gottes und dem Menschen. Auf
der einen Seite ist der Mensch selbst ein Produkt der göttlichen Tätigkeit,
auf der anderen Seite wird er zum Gestalter der ihm vorgegebenen erschaf-
fenen Welt.
Meyers Artikel reiht sich in der Rezeption dieser metaphorischen Krea-
tionen ein. Er setzt «Schöpfung» zwar mit ökonomisch-globalisierten
Märkten in Verbindung, um ihren Charakter als vorliegende Entitäten dar-
zustellen, an denen wir lediglich konsumierend partizipieren können. Ge-
rade durch die Wahl dieser Metapher jedoch betont er die Möglichkeit der
Überwindung konsumistischer Mechanismen und hebt die aktive Rolle
des Menschen in der Gestaltung der Zukun# hervor. Die Idee einer besse-
ren Welt nach der Pandemie wird im Lichte endzeitlicher Umwälzungen
als systemerlösende Möglichkeit präsentiert.
In eine umgekehrte Richtung bewegt sich die Metapher der «Unbe-
haustheit des Menschen». Damit bezeichnet der Autor ein existenzielles
und ganzheitliches Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, das zum
Motor der Kultur wird. Meyer schreibt:
Ja, Behaustsein ist die Sehnsucht, die mit dem Verlassen des Mutterlei-
bes jede menschliche Existenz begleitet.
Auch in dieser Metapher schwingen Anspielungen auf neoliberale Gesell-
scha#skonstellationen mit und, ähnlich wie bei «Schöpfung», die Situation
des Menschen im Verhältnis zur Welt, jedoch mit einer anderen Konnota-
tion. «Unbehaustheit» umreißt den Menschen als hausbauendes, kultur-
scha!endes Wesen, das sich seine Lebenswelt aneignet.
Ausblicke ins Ungewisse
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133