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Mütter sogar und die Schwestern auch.
Alle hatten es leicht, am leichtesten die Glasers und Efrussis: der wurde
Primus, und der Juwelier, und jener Sohn des reichen Juweliers. Nur in der
Armee waren sie nichts geworden, selten Sergeanten. Dort siegte
Gerechtigkeit über Schwindel. Denn alles war Schwindel, Glasers Wissen
unredlich erworben wie das Geld des Juweliers. Es ging nicht mit rechten
Dingen zu, wenn der Soldat Grünbaum einen Urlaub erhielt und wenn Efrussi
ein Geschäft machte. Erschwindelt war die Revolution, der Kaiser betrogen,
der General genarrt, die Republik ein jüdisches Geschäft. Theodor sah das
alles selbst, und die Meinung der anderen verstärkte seine Eindrücke. Kluge
Köpfe, wie Wilhelm Tiedemann, Professor Koethe, der Dozent Bastelmann,
der Physiker Lorranz, der Rassenforscher Mannheim, behaupteten und
bewiesen die Schädlichkeit der jüdischen Rasse an den Vortragsabenden des
Vereines deutscher Rechtshörer und in ihren Büchern, die in der Lesehalle der
»Germania« ausgestellt waren.
Oft hatte der Vater Lohse seine Töchter vor dem Verkehr mit jungen Juden
in der Tanzstunde gewarnt. Beispiele gibt es, Beispiele! Ihm selbst, dem
Bahnzollrevisor Lohse, passierte es mindestens zweimal im Monat, daß ihn
Juden aus Posen, welche die schlimmsten sind, zu bestechen versuchten. Im
Kriege wurden sie enthoben, für den Kriegsdienst ungeeignet erklärt, saßen
sie als Schreiber in den Lazaretten und in den Etappenkommandos.
Im juridischen Seminar meldeten sie sich immer wieder zu Wort und
schufen neue Situationen, in denen Theodor sich heimatlos fühlte und zu
neuerlichen, unangenehmen, eifervollen, hartnäckigen Arbeiten gedrängt.
Nun hatten sie die Armee vernichtet, nun beherrschten sie den Staat, sie
erfanden den Sozialismus, die Vaterlandslosigkeit, die Liebe für den Feind. Es
stand in den »Weisen von Zion« – das Buch bekamen alle Mitglieder des
Reserveoffiziersverbandes zu den Hülsenfrüchten am Freitag –, daß sie die
Weltherrschaft erstrebten. Sie hatten die Polizei in Händen und verfolgten die
nationalen Organisationen. Und man mußte ihre Söhne unterrichten, von
ihnen leben, schlecht leben – wie lebten sie selbst?
Oh, wie herrlich lebten sie! Durch ein graues, silbern schimmerndes Gitter
von der gemeinen Straße getrennt war das Haus Efrussis und von grünem,
weitem Rasen umgeben. Weiß schimmerte der Kies, noch heller die Treppe,
die zur Tür führte, Bilder in Goldrahmen hingen im Vestibül, und ein Diener
in grün-goldener Livree empfing und verneigte sich. Der Juwelier war hager
und groß, immer schwarz gekleidet, in einer hohen, schwarzen Weste, deren
Ausschnitt nur ein Stückchen schwarzer, mit einer haselnußgroßen Perle
geschmückter Kragenbinde frei ließ.
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92