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Hause hatten, und sie saßen zusammen im Auto. Theodor redete unterwegs.
Frau Efrussi fiel ihm ein, und er erzählte von ihr dem Prinzen. Ihre großen
grünen Augen sah er. Ihre Schultern. Er streifte ihr die Kleider ab, sie stand
vor ihm in der Unterwäsche. Sie trug violette Unterhöschen. Er erzählte alles
dem Prinzen, was er sah, tat, erlebte. »Ich streife ihr das Hemd ab«, sagte
Theodor, »Hoheit müssen wissen, sie hat braune Brustwarzen … ich beiße in
ihre harte Brust!«
»Sie sind ein famoser Junge«, sagte der Prinz.
Er wiederholte diesen Satz auch später noch, als sie im Zimmer saßen und
einen schwarzen Kaffee tranken und noch einen Likör. So nahe saßen sie
beieinander, ihre Schenkel berührten sich, und der Prinz hielt Theodors Hand
und drückte sie. Und auf einmal war Theodor nackt und der Prinz Heinrich
ebenfalls. Der Prinz hat eine dichtbehaarte Brust und sehr dünne Beine. Seine
Zehen sind ein bißchen verkrümmt. Theodor hat den Kopf gesenkt, und
obwohl es ihm peinlich ist, muß er die Zehen betrachten. Er denkt, es wäre
schon bei weitem besser, dem Prinzen ins Angesicht zu sehen. Das
Angesicht, denkt er, ist der einzige bekleidete Körperteil des Prinzen. Der
Prinz drückt aus einem Gummiballon einen kühlen, feinen Staubregen in die
Luft.
Theodor sieht zum erstenmal seine ganze Nacktheit in einem großen
Wandspiegel. Er kann feststellen, daß er eine weiße, rosa angehauchte Haut
besitzt, rundlich geformte Beine, ein wenig gewölbte Brüste und leuchtende
Brustwarzen wie zwei dunkelrote, winzige Kuppeln.
Theodor liegt auf dem warmen, weichen Eisbärfell, und neben ihm atmet
schwer und laut der Prinz Heinrich. Der Prinz beißt in Theodors Fleisch. Die
Bartreste des Prinzen kratzen, seine gekräuselten Brust- und Beinhaare kitzeln
Theodor.
Er erwachte in einem halbdunklen Zimmer, und sein erster Blick traf ein
großes Ölporträt des Prinzen an der Wand. In einer erschreckenden Wachheit
sah er alle Ereignisse der vergangenen Nacht. Er kämpfte gegen sie
vergeblich. Er versuchte, sie auszulöschen. Sie waren überhaupt nie gewesen.
Er begann, an allerlei entfernte Dinge zu denken. Er konjugierte ein
griechisches Verbum. Aber seine letzten Erlebnisse überfielen ihn, eine Schar
zudringlicher Fliegen. Er stieg langsam die Stiege hinunter und nahm den
Gruß eines alten ehrfürchtigen Dieners entgegen. Schon meldete das helle
Geklingel der Straßenbahn die Nähe der Welt.
Oh, die Nähe dieser reichen Welt, deren Millionen Schätze klangen und
flimmerten. Die Straße erlebte er, den Gang der Frauen, Musik in den
wiegenden Hüften, die stolze Gewißheit sicher schreitender Männer und seine
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92