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							Also fuhr Theodor, mit einer blühweißen Seemannskappe bekleidet, in
einem Coupé erster Klasse nach Königsberg. Seine Hoheit der Prinz schlief
unterwegs, ein Buch von Heinz Tovote in der herabhängenden Rechten. Der
Ruderklub »Deutsche Treue« holte sie ab, fütterte sie, legte sie schlafen. Sie
standen am nächsten Tag, es war ein Sonntag, am Seeufer, und es regnete, wie
gewöhnlich bei Bootstaufen. Eine weißgekleidete Jungfrau hielt ein Weinglas
in der Rechten, einen Regenschirm in der Linken, der Prinz trat an das Boot,
gab ihm seinen Namen und zerschmetterte das Weinglas am Bordrand. Alle
riefen dreimal hipp, hipp, hurra! Und der Regen rauschte.
Nachmittags besichtigten sie eine Ehrenkompanie der Reichswehr, lernten
die Burschenschaft »Rhenania« kennen, und Theodor erkannte in dem
Studenten Günther einen Kameraden aus dem Felde. Sie tranken zusammen,
sie gingen durch die Stadt, sie erzählten Erlebnisse, sie hielten einander für
prachtvolle Menschen und umarmten sich. Nun gab es kein Geheimnis
zwischen ihnen, Theodor verschwieg nur seine Verbindung mit dem Prinzen
und mit Klitsche. Dennoch nannte er auch diesen Namen einmal, und nun
gestand Günther, daß auch er der Stelle S II in München angehöre und von
Klitsche Aufträge erhalte. Aber er sei jetzt der Politik müde und wolle
heiraten. Seine Braut lebe in Berlin. Ja, er wollte mit Theodor nach Berlin
fahren. Er sehne sich.
Seine Braut war die Tochter eines Arbeiters. Der Vater Betriebsrat bei den
Schuckert-Werken. Ein einfacher Arbeiter sogar und ein Roter.
Ob Günther nun auch ein halber Roter wäre, fragte Theodor. Er hielt die
Hände in den Taschen und spreizte die Finger. Er horchte mit tausend Ohren.
»Nein!« Aber Günther sprach mit seinem Schwiegervater und ließ eines
jeden Meinung gelten.
Sie fuhren zusammen; der Prinz schlief in einem Abteil nebenan, und
Theodor schwieg. Er sah in die Landschaft. Er betrachtete Günther, den
strohblonden, blauäugigen Buben mit dem dummredlichen Gesicht.
Was war ihm Günther? Name und Gesicht gleichgültig und durch Zufall
bekannt. Wie der junge Thimme zum Beispiel.
Liebte er Günther? Liebte er jemanden? Ja, er liebte sein Volk. Im Dienste
seines Volkes stand er. Wenn Günther nicht die Wahrheit sprach? Wenn er nur
die Hälfte sagte? Wenn er ein Verräter war? mit den Kommunisten
verhandelte? die Organisation verriet?
Hier war Theodor auf eine Sache gestoßen. Und mußte vorsichtig sein. Die
Sache wies einen Weg.
Detektiv Klitsche hörte Theodor zu. War Näheres nicht zu erfahren?
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						Das Spinnennetz
							
				- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92