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sie legten sich schlafen, sie standen beim ersten Morgenstrahl auf. Sie sangen.
Einmal kam der Freiherr aufs Feld. Er war gut gelaunt. Er lud den
Untersuchungsrichter ein. Er lud auch Theodor und die fünfzig ein. Er sprach
mit Theodor. Schimpfte auf die Arbeiter. Sie waren Polacken. Kein Tropfen
deutschen Blutes. Juden verführten sie. In dieser Gegend lebten überhaupt
Juden, Polacken, rotes Gesindel. Es war zum Niederknallen.
Niederknallen sollte man sie. In dieser Nacht brannte die große Scheune.
Einer von Theodors Leuten hatte geraucht. Der Freiherr drohte: Drei
Taglöhne weniger. Aber der Untersuchungsrichter verdächtigte die
Landarbeiter. Man verhaftete zehn.
Hundert zogen am nächsten Tage vor das Gut. Der Freiherr ließ
Maschinenpistolen aus dem Keller bringen. Er verlor den Appetit. Er schloß
die Fensterladen. Ohrfeigte den zwölfjährigen Wilhelm. Schon sah er sein
Haus vernichtet. Seine Söhne gehängt. Sich selbst gefoltert. Er ging nicht
mehr in die Felder. Er schlief in Kleidern, die Pistole neben sich. Er fürchtete
sich vor vergifteten Speisen. Er fürchtete sich überhaupt.
Theodor schlief im Hause. Nicht nur, weil die Scheune abgebrannt war.
Wachen stellte Theodor auf. Die jungen Freiherren inspizierten. Der Alte war
milde. Ein gütiger Greis. Er spendete für die Kirche. Er sah sich um, wenn er
sprach. Er flüsterte.
In solcher Stimmung war er zugänglich jedem Rat.
Theodor war erbittert. Schickte man ihn weg? Wollte man seinen Namen
untergehen lassen? Brennen sollte der Name Theodor Lohse in allen
Zeitungen. Nicht vergessen sollte man Theodor Lohse. In Berlin und in
München nicht. Man wird ihn nicht vergessen.
Man muß die Arbeiter herausfordern. Kam es zu Kampf – sie vernichten.
Hundert Mann – hatten sie Waffen? Hier war ein Arsenal. Man wird Theodor
Lohse nicht vergessen.
Jeden Tag sangen sie:
Der Verräter zahlt mit Blut,
Schlagt sie tot, die Judenbrut,
Deutschland über alles.
Sie arbeiteten weniger. Sie exerzierten. Sie rückten mit Gewehren aus. Die
Arbeiter hungerten. Ihre Kinder bekamen dünne Hälse und große Köpfe. Die
Frauen kreischten, wenn sie Theodors Leute sahen. Sie riefen: »Hunde!«
Man schoß in die Luft. Arbeiter kamen, hundert, zweihundert aus der
Nachbarschaft. Sie trugen Stöcke. Sie warfen Steine. Sie zogen zum Gutshof.
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92