Seite - 84 - in Das Spinnennetz
Bild der Seite - 84 -
Text der Seite - 84 -
							Die verstockten Häftlinge wußten nichts zu gestehen. Die Polizisten
schlugen sie. Ein Agent führte den Mann vor und drehte ihm die Handgelenke
nach rückwärts. Es war eine »Sicherheitsmaßregel«.
Wenn er die verfänglichen Fragen Theodors beantwortete, verringerte der
Agent den Druck. Schwieg der Gefragte, dann verstärkte sich der Schmerz.
»Antworten Sie«, sagte Theodor. Und alle Häftlinge kamen darauf, daß eine
Beziehung zwischen ihren Antworten und den Schmerzen bestand. Und sie
antworteten.
Überfüllt waren die Gefängnisse. Die Polizei verhaftete keine Diebe mehr.
Die Untersuchungsrichter ließen jeden frei. Sperrte man einen Einbrecher ein,
geschah es, damit er die anderen aushorche.
Und es füllten sich die Baracken. Man baute noch einige Hütten. Es war ein
kalter Winter. Der Frost sang. Der Wind trieb zerstäubte Schneewogen. Durch
die Fugen der Barackendächer fiel Schnee und schmolz und fror wieder auf
dem Boden ein. Im Stroh, das feucht war und wie nasse Erde roch – es war
ein Stroh, das nicht mehr rascheln konnte –, krochen Kinder, gelbhäutig, und
ihre Rippen klapperten. Es war den Barackenbewohnern verboten, Kerzen
anzuzünden, aber die elektrischen Birnen waren alt und untauglich, und die
Männer saßen im Finstern beisammen und sangen. Sie sangen mit
zerbrochenen Stimmen blutige Lieder.
Manchmal ging Benjamin Lenz mit einem Ausweis von Theodor Lohse
inspizieren. Er nahm keine Soldaten mit. Er verteilte Zigaretten an die
Männer, und er gab ihnen auf kleinen Zetteln Ratschläge und Fluchtpläne.
Einigen gelang die Flucht aus den Baracken. Sie kamen zu Benjamin. Er
konnte dem und jenem ein falsches Papier verschaffen. Aber die meisten
hatten Frau und Kinder, und sie mußten auf ihren Transport warten. Sie
warteten lange. Sie warteten auf den Tod.
Einmal kam Thimme zu Theodor, sie tauschten Erinnerungen an die alte
Zeit bei Klaften aus. Thimme, der junge, liebte Theodor, er sagte es. »Sie
waren mir damals sofort sympathisch!« sagte Thimme.
Der ist gefährlich! dachte Theodor.
Ich muß mich in acht nehmen, dachte Theodor. Aber er nahm sich nicht in
acht. Nach einigen Tagen gefiel ihm der junge Thimme. Es war ein begabter
Mensch, ein schneller Junge. Er wollte nur einen Posten.
Und es erwies sich, daß Thimme Schlupfwinkel kannte. Die Gastwirte in
Moabit, in deren Kellern Sprengstoffe und Waffen gelegen hatten. Heute
lagen keine Waffen mehr dort. Aber Thimme wußte sie in den Kellern zu
finden. Er brachte sie eine Nacht vorher unter. Er kannte Zugänge. Er hatte
84
					
					zurück zum
					 Buch Das Spinnennetz"
				
				
						Das Spinnennetz
							
				- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92