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Zipper und sein Vater
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begeben hat?« Zwar hatten die Zippers ein Dienstmädchen, aber der Alte wollte keine »fremden Gesichter beim Essen sehn«. Deshalb mußte die Frau Zipper selbst die Speisen von der Küchentür zum Tisch bringen. Wenn sie die Suppenterrine in die Mitte des Tisches stellte, sagte Zipper: »Etwas näher, Madame, bitte, spielen wir doch nicht Versailles!« Manchmal sagte er: »Die Serviette ist schon mindestens zwei Wochen alt! Ein anderer muß sie benützt haben! Hier sind Spuren von Eiern, und ich esse keine Eier. Seit Jahren keine Eier!« An den Tagen, an denen ich eingeladen war, schien ihm ganz besonders an einer Konversation gelegen zu sein. Er versuchte um jeden Preis, das Schweigen seiner Frau zu brechen. Ja, er zwang sich sogar, ihr eine Freundlichkeit zu sagen. An ihr aber glitt selbst seine Güte ab, wie ein Tropfen Öl an vereistem Glas. Wenn Cäsar oder Arnold einen Fettfleck auf ihre Kleider machten, unachtsam waren, ein Glas Wasser verschütteten, so sagte der alte Zipper zu seiner Frau: »Sieh her, wie sich deine Kinder schon wieder benehmen.« Seit einem Jahrzehnt trank er nach jedem Essen einen Tee. Es mußte ein ganz besonderer Tee sein, das Glas nicht zu voll, damit Zipper es am oberen Rand fassen konnte, ohne sich die Finger zu verbrühen. War aber der Rand zu breit gelassen, so sagte er witzig: »Was kostet ein ganzes Glas, Madame?« War der Tee zu hell, so schickte er ihn zurück, damit er länger aufgebrüht werde. War er zu dunkel, so verlangte er warmes Wasser. Er bekam es in einer metallenen Kanne, deren Henkel so heiß war, daß er ihn mit einem Taschentuch anfassen mußte; und obwohl er wußte, jedenfalls aus Erfahrung wissen mußte, daß der Henkel nicht zu fassen war, griff er doch immer mit nackten Fingern nach ihm, fuhr erschrocken zurück, schüttelte die Hand in der Luft wie einen weißen Vogel und durchbohrte seine Frau dabei mit jenem Blick, mit dem man einen bedenkt, der uns auf ein Hühnerauge getreten ist. Niemals vergaß der alte Zipper, sich über den Tee, seine Zubereitung, die verschiedenen Arten, seine Heilkraft, seine Schädlichkeit zu verbreiten. Mindestens sechzehnmal habe ich selbst aus seinem Munde gehört, wie er sich einmal einen Teerausch angetrunken hatte. »Es war allerdings«, schloß Zipper seine Erzählung, »kein Tee wie dieser hier!« Und dabei sah er seine Frau an. Wenn ich mir heute das Bild der Frau Zipper zurückrufe, sehe ich, daß sie in einem Nebel gelebt hat, in einer Art von grauem trübem Heiligenschein, wie er für Märtyrer paßt, die für lächerliche Zwecke und aus lächerlichen Gründen Schmerz und Pein erdulden. Ich weiß nicht, ob sie ihre Kinder geliebt hat. Vielleicht waren sie ihr gleichgültig oder verhaßt, wie der Vater. Sie schien mir mehr für den Schmerz dazusein als für die Liebe. Was die Kinder 15
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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