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Cäsar in Uniform. Arnold konnte, sollte und mußte Offizier werden. Also
kümmerte sich der alte Zipper um seinen Sohn Cäsar überhaupt nicht. Cäsar
wohnte in der Kaserne, kam nur einmal nach Haus, einen Tag, bevor seine
Marschkompanie ins Feld ging. Er betrank sich, lag achtzehn Stunden auf
dem Sofa und schrie aus dem Schlaf. »Ein schöner Held, ihr Sohn!« sagte der
alte Zipper. Am Abend holte uns der alte Zipper von der Einjährigenschule
ab. Er trank ein Glas Bier mit unserm Feldwebel. Eines Tages, es war ein
nebliger Novemberabend, das Licht der kriegsmäßig reduzierten Laternen sah
aus wie in Watte verpackt, standen wir fünf Minuten vor der Schule und
warteten auf den alten Zipper. Er kam nicht. Plötzlich tauchte vor uns ein
Feldwebel auf, ein kleiner Feldwebel. Wir salutierten. Da lachte der
Feldwebel. Es war der alte Zipper. Er hatte sich freiwillig gemeldet.
Oh, wie schön sah er aus! Er trug eine Extrauniform, seine Goldborten
glänzten, sein teefarbener Schifferbart war verschwunden, nur sein kleiner,
grauer Schnurrbart, auch er stark reduziert, war übriggeblieben. In der prallen
Uniform sah man deutlich, daß der alte Zipper einen Bauch hatte und daß er
sich in den Hüften wiegte, wenn er ging, und daß er mit den Füßen stark nach
auswärts trat.
Er ließ uns ein paarmal auf der Straße salutieren. Wir gingen mit ihm in ein
Wirtshaus, und er erzählte alte Geschichten von seinem Regiment. Jetzt war
er im Landsturm, und weil er etwas Tschechisch verstand, kam er nach
einigen Tagen in die russische Zensurabteilung. Er sollte die Briefe an
russische Kriegsgefangene prüfen. Er konnte sie aber nicht lesen. Er fing an,
Russisch zu lernen. Indessen häuften sich auf seinem Tisch die Briefe. Er
verteilte sie unter seinen Untergebenen und lernte fleißig Russisch.
Er ließ sich photographieren: am Schreibtisch, die Briefe, die er nicht lesen
konnte, in zwanzig sortierten Päckchen vor sich; mit Mütze, Überschwung
und Säbel; mit Arnold, dem Einjährigen; mit Arnold und mir; mit Arnold zu
Hause; mit Arnold auf der Straße. Alle Bilder hingen im Salon.
Dann gingen wir ins Feld, er begleitete uns zur Bahn. Er begann zu winken,
bevor der Zug abging. Der Zug stand nämlich noch nicht auf dem richtigen
Geleise. Man verschob ihn oft. Immer, wenn ich dachte, jetzt wäre der alte
Zipper schon zu Hause, erschien er wieder. Weil er ein Feldwebel war, konnte
er bis in die fernsten Güterbahnhöfe vordringen, während alle andern den
ersten Bahnsteig schon verlassen mußten. So froh wie damals, als wir in den
Tod gingen, hatte ich den alten Zipper noch nie gesehen. Als unser Zug schon
endgültig abrollte, erschien er noch einmal, lief neben dem Waggon her, ein
Zeitungsblatt in der Hand, und rief uns nach:
»Sieg bei Lublin!«
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110