Seite - 43 - in Zipper und sein Vater
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einzigen führte er mit sich. Es war ein altes Felleisen aus braunem Leder, der
Deckel und der Boden waren harmonikaartig gefaltet. Auf dem Sofa lag sein
Hut – er legte ihn niemals im Vorzimmer ab. Und es war wirklich ein großer,
breitrandiger Panamahut. »Sehr erfreut!« sagte er in einem fremden Deutsch,
als er mir zum erstenmal die Hand gab, eine entsprechend große, warme,
trockene Hand. Dann erkundigte er sich nach dem Krieg in einem Ton, in dem
man sich nach der Ernte erkundigt oder nach dem Ausgang einer
interessanten Veranstaltung. Er hätte wichtigere Dinge zu Hause gehabt, das
Vieh, die Ernte und die Knechte beanspruchten sehr viel Zeit. Wäre er reich
gewesen und sorglos, dann wäre er vielleicht herübergekommen, um an dieser
oder jener Seite zu kämpfen. Aufrichtige Bewunderung zollte er den drei
eisernen Ringen Zippers. Einen Aschenbecher aus einem Schrapnell, das
Arnold mitgebracht hatte, gedachte er, nach Brasilien zu nehmen. Den
samtenen Sessel, auf dem Cäsar gesessen hatte, betrachtete er ein paarmal
täglich. Er fühlte nicht, daß Zippers Herz stillstand, er sah nicht, wie Zippers
Augen groß wurden und sein Blick fern (ein Blick, der in die weiten Gefilde
des Schmerzes wandert) – wenn er den Sessel beklopfte, umdrehte und mit
einer gleichgültigen Stimme sagte:
»Also hier hat Cäsar gelebt, ein Sessel hat ihm genügt. Als ich das
letztemal hier war, war ihm die ganze Stadt nicht groß genug. Kein Wunder,
daß man in diesem Sessel verrückt wird.«
Jeden Tag, wenn die Zeitung kam, fragte der Farmer: »Sind Bilder heute
drin?« Denn er glaubte, unsere Zeitung erscheine heute illustriert und morgen
nur mit einem Text, weil ihr Photograph zufällig geschlafen hat. »Schlecht
sind eure Virginier geworden«, sagte er mitten im Rauchen, und er
zerkrümelte die teure Zigarre, für deren Stummel ihm der alte Zipper dankbar
gewesen wäre. Eine unbändige Vergnügungssucht trieb ihn an alle Orte, wo
man musizierte, tanzte, Theater spielte. Für die Stunden, die er zu Hause
blieb, kaufte er ein Grammophon, das er den Zippers zurückzulassen
versprach. Nach dem Essen legte er sich auf das Sofa, auch wenn ich da war.
Dann sah ich, wie sein Blick im Zimmer herumirrte, auf Menschen und
Gegenständen haften blieb, als suchte er etwas, dessen Abbild er in den
Schlaf herübernehmen wollte. Schließlich blieb er auf dem roten Sessel
kleben, wurde selig-gefälligschläfrig, und die Augenlider des Farmers
schlossen sich.
Ich bemerkte an dem Farmer einige ungebräuchliche Wendungen, er sprach
gewissermaßen in einem eigenen Stil. Gefiel ihm etwas, ganz gleichgültig, ob
es ein Mann, eine Frau, ein Vorgang, eine Sache war, so sagte er: es wäre
gemütlich. Er konnte sagen: die Suppe sei gemütlich, ich sei gemütlich – denn
es schien, daß ich ihm gefiel –, der Aschenbecher aus dem Schrapnell sei
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110