Seite - 46 - in Zipper und sein Vater
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helfen. Kann er ein Bauer sein? Ich will ihm helfen. Aber gegen Ehrenwort
und Unterschrift; denn ich mache keine Geschenke, die ein Vermögen sind,
oder ich spucke dem Manne ins Gesicht, dem ich Geld auf ewig geliehen
habe. Fragt ihn, er soll sagen, was er will.«
»Nun hast du dich entschlossen?«
»Nein«, sagte Arnold, »kann ich mich überhaupt jemals entschließen?
Manchmal scheint es mir, ich könnte ganz gut ein Bauer sein. Dann kommt
es mir romantisch und absurd vor. In die Natur gehen? Kann ich mit den
Hühnern schlafen gehen und mit ihnen aufstehen? Kann ich einen einzigen
Abend das Kaffeehaus entbehren, ein Gespräch mit dir, mit einem andern?
Kann ich heiraten, Kinder haben, die das Vieh auf die Weide führen?«
»Aber in Brasilien müßtest du das alles doch auch!«
»In Brasilien – ja. Ebenso könnte ich ja in New York auf der Straße
Zeitungen verkaufen und hier nicht!«
»Warum nicht hier?«
»Weil man mich kennt. Weil das komisch wäre, ich wäre eine lächerliche
Figur.«
Ich versuchte keineswegs, Arnold zu überzeugen. Aber ich verstand nicht,
daß er nicht hier Zeitungen verkaufen zu können glaubte. Warum wäre er eine
lächerliche Figur geworden? Durch keine Beschäftigung irgendwelcher Art
wird man lächerlich, wenn man es nicht schon gewesen ist, wollte ich ihm
sagen. Aber ich sagte es ihm nicht. Ich fühlte, daß es überflüssig war. Ich
fühlte, daß dieser Mensch wie jeder andere bestimmten Gesetzen gehorchte,
wenn er etwas unternahm oder etwas unterließ. In dieser Nacht fühlte ich das
Gesetz der Welt. Ich hörte den geschwinden, genauen, unerbittlichen,
reibungslosen Gang der Räder, die den Mechanismus des Schicksals
ausmachen. Ich dachte, daß der Sohn des alten Zipper einemunbekannten
Gebot Untertan war, wie der Alte es gewesen, wie es die Enkel des Alten
auch sein würden. Ich stellte mir jenen Abend vor, an dem der Farmer den
Zippers jede Hoffnung genommen hatte. Es mußte ein Schweigen entstanden
sein, jenem vergleichbar, das dem Bericht des Alten von der Vermietung des
Salons gefolgt war. Die Eltern Arnolds mußten überzeugt gewesen sein, daß
ihr Leben umsonst war. Der Sohn hätte ihrem Alter Wärme und Licht geben
müssen, und er kam zu ihnen eine Suppe essen.
Am nächsten Tag traf ich den alten Zipper. Er saß in einem Park, eine
Zeitung las er mit einer großen Lupe in der Hand, denn die Brille genügte ihm
nicht mehr. Wie er so dasaß in seinem schäbigen schwarzen Anzug, der an
den Schultern fast so grün war wie das Laub, das ihn umgab, in der Ecke auf
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110