Seite - 48 - in Zipper und sein Vater
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gewesen. Arnold bekam eine Anstellung.
»In einer Zeit, in der Beamte, die schon zehn Jahre gedient haben, auf die
Straße gesetzt werden, bekommt Arnold einen Posten«, sagte der alte Zipper.
»Auch eine Republik kann ohne wirkliche Tätigkeit nicht regiert werden. Der
beste Beweis dafür ist Arnolds Fall.«
»Das ist sehr gemütlich!« sagte der Farmer. Am nächsten Tag reiste er ab.
Man sprach selten von ihm im Hause Zipper. Er hatte sich blamiert. Er
hatte Arnold abgelehnt! Ein Genie wie Arnold nicht nach Brasilien
mitzunehmen – dazu gehörte schon die enorme Ungebildetheit dieses
Farmers.
»Im Grunde«, sagte der alte Zipper einmal von seinem Bruder, »hat er
niemals Zeit gehabt, etwas zu lernen, noch auch nur nachzudenken.« Und
man ging über den Farmer zur Tagesordnung über.
Die Tagesordnung bestand darin, daß man Arnold lobte. Zipper schien ganz
vergessen zu haben, daß er selbst es gewesen war, der Arnold eine Stellung
verschafft hatte. Man tat so in der Familie, als hätte der Sohn einen
großartigen Ruf erhalten, die Finanzen des Landes zu ordnen.
Einen Monat später trat Arnold in das Amt ein.
Er war ein kleiner Beamter mit einem geringen Gehalt. Der Vater aber sah
in ihm schon einen Finanzminister. Arnold hatte nichts von dem Optimismus
seines Vaters.
»Wie soll ein Mensch, der im Krieg war, vorher nicht Beamter gewesen ist,
jetzt acht Stunden täglich an einem Schreibtisch sitzen?« fragte er. »Ich sitze
in einem Zimmer im vierten Stock, mit noch zwei Männern; beide sind so alt
wie mein Vater. Du ahnst nicht, wie sie mich hassen! An einem der letzten
Tage bin ich mit meinem neuen, hellgrauen Anzug ins Büro gekommen. Der
eine, Herr Kranich, ist sofort in alle Büros gelaufen und hat erzählt, daß hier
ein junger Mann mit einem hellen Anzug in den Dienst gekommen ist. Sooft
ich hinausging, standen im Korridor einige Beamte, tuschelten miteinander
und sahen mich an. Andere machten wie zufällig die Türen ihrer Kontore auf,
schauten hinaus und machten wieder zu. Endlich ließ mich der Kronauer
rufen und sagte mir, ich möchte mit Rücksicht auf die schlechte Lage der
Beamten, die Familienväter seien, nicht neue Anzüge im Amt tragen. Er
selbst trage auch seine alten. Außerdem möchte ich doch die vorgeschriebene
Uniform anziehen.
Du kannst dir kaum vorstellen, wie mir vor dieser Uniform graut. Schon
wieder eine! Soeben habe ich sie abgelegt! Ich habe versucht, meinen Tisch
etwas näher an das Fenster zu rücken. Man sieht zwar nichts, es geht in einen
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110