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Zipper und sein Vater
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kindisch und nicht einmal in Träumen ehrgeizig. Er wollte nur die Luft des Theaters atmen, wie er ins Kaffeehaus kam, nicht um Karten zu spielen, sondern um die Luft des Kaffeehauses zu atmen. Er war Publikum mit genauer Fachkenntnis. Wenn er einen Schauspieler kennenlernte, fühlte er den Zwang, ihn spielen zu sehen. Sah er einen Schauspieler auf der Bühne, so mußte er ihn kennenlernen. Kannte er einen Autor, so mußte er ihn lesen. Las er ein Buch, so wollte er den Autor sehen. Sprach er mit einem Maler, so besuchte er ihn im Atelier. Diese seine Neigungen und Leidenschaften waren fast wissenschaftlich. Mehr als ein gedrucktes Buch interessierte ihn ein Manuskript, mehr als ein vollendetes Werk ein unfertiges, mehr als der verarbeitete Gegenstand die Veranlassung und die Ursache der Arbeit, mehr als das Porträt das Modell. Es schien, als suchte seine unglückliche Natur zu erfahren, wie es »gemacht würde«. Denn er besaß die Gabe der Empfindung wie ein Schöpfer, das Interesse für das Handwerk wie ein Berufener. Aber er konnte nichts hervorbringen. Er lebte wie in einem Angsttraum, wenn man rufen will und nicht kann. Da er so eifrig forschte, wußte er vieles aus dem Privatleben seiner Lieblinge. Trotzdem war er nie zudringlich. Denn sein Eifer hatte die wissenschaftliche unpersönliche Kühle. Auch war er verschwiegen wie ein Gelehrter, der die Ergebnisse seiner Forschungen aufbewahrt bis zu dem Tag, an dem er mit ihnen seine Theorie aufzubauen gedenkt. Da ich Arnolds Interesse für das Theater kannte, wunderte ich mich nicht darüber, daß ich ihn schon an einigen Abenden nicht im Kaffeehaus gesehen hatte. Er muß noch vor dem Theater da gewesen sein, dachte ich. Wahrscheinlich treten in dieser Woche Schauspieler auf, die ihn interessieren. Wahrscheinlich ist er eingeladen worden. Als er aber länger als eine Woche ausblieb, wurden selbst die Spieler unruhig. Arnolds tragische Schweigsamkeit fehlteihnen. Für wen spielten sie noch? Jedesmal, wenn ich an einem Tisch vorbeiging, hielt mich einer am Rock fest und fragte: »Wo bleibt Zipper so lange?« Auch ich fragte. Die Kellner hatten ihn nicht gesehen, die Kassierin auch nicht. Ja, am Büfett lag Post für ihn, die er nicht abgeholt hatte. Ich war schon lange nicht bei den Zippers gewesen. Es war Winter, ich wußte, daß sie nicht heizten. Oh, ich kannte diese Winter im Hause Zipper! Da saß der Alte im Winterrock, die Frau Zipper hatte nach der Art der Bäuerinnen ihrer Heimat einen Schal kreuz und quer um den Körper geschlungen, die Fensterscheiben waren trüb, kleine Wässerchen rannen an ihnen herunter, sie waren nicht wie aus Glas, sondern wie aus trübem Wasser, aus den Mündern der Menschen kam ein grauer Hauch, ihre Hände waren rot, ihre Finger geschwollen, eine 57
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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