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Zipper und sein Vater
Seite - 63 -
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Ich fragte ihn nur, ob er jetzt wieder ins Amt gehe. Er sagte, daß er seit drei Tagen wieder arbeite, daß er aber noch keineswegs entschlossen sei, dort zu bleiben, Staatsbeamter zu sein und auf »die Welt« zu verzichten. Immerhin schien es mir, daß Arnold, ob er im Amt blieb oder nicht, verliebt sei. Das heißt: daß er sich in einem Zustande befinde, den man seit Jahr und Tag Verliebtheit nennt. Er war es zum ersten Male in seinem Leben. Ich wunderte mich darüber, weil er keine Veranlagung hatte, sich zu verlieben. Er brachte sozusagen in die Liebe nicht die geringste Voraussetzung mit. Wenn sein Verstand nicht besonders scharf und auf der Hut war, so war sein Temperament doch nicht stark genug, ihn zu betäuben. Wenn Arnold auch sentimental von Natur war, so besaß er doch Geschmack genug, die Sentimentalität zu bekämpfen. Wenn er auch empfindlich und imstande war, einem fremden Einfluß, einem Reiz, einer Stimmung zu unterliegen, so war er doch den Frauen im allgemeinen gegenüber zu gleichgültig, als daß es möglich gewesen wäre, daß er einer verfiele. Ich hatte schon längst beobachtet, daß Arnold einer der wenigen Männer war, die in der Gesellschaft von Frauen ihre Haltung nicht veränderten. Die Spieler interessierten ihn mehr. Die Frauen machten gerade noch so viel Eindruck auf ihn, daß er feststellen konnte, sie gehörten nicht zum männlichen Geschlecht. Damit war alles für ihn erledigt. Er glaubte zu wenig an sich, um eitel zu sein wie alle andern Männer. Denn auch um sich zu verlieben, muß man ein wenig eingebildet sein. Ich kam schließlich zu dem Ergebnis, daß Arnold sich aus Verzweiflung verliebt hatte, ähnlich wie einer, dessen Natur sich gegen den Alkohol sträubt, aus Verzweiflung ein Trinker wird. Um aus der monotonen Tragik, in der er lebte – aus der er beinahe bestand –, in eine bewegtere zu gelangen, mußte er nach einem altbewährten dramatischen Mittel suchen. Wahrscheinlich war er sich nicht darüber klar, während er es tat. (Aber auch, wenn man selbst die Gründe seiner Tat nicht kennt, so sind sie doch ihre Gründe.) Arnold hatte nichts anderes getan, als was ich ihm vor einigen Wochen gesagt hatte. Unfähig, wie er war, eine Frau zu finden, kam er auf den bequemen Ausweg, sich an eine zu erinnern, die er vor zwölf Jahren gefunden hatte. Zu gleichgültig, vielleicht auch zu faul, um eine zu wählen, kehrte er zu einer zurück, von der er glaubte, sie wäre ihm schon bekannt genug und ersparte ihm die Arbeit einer Wahl. Zu schwach, eine neue zu erleben, weckte er einealte wieder auf. Es war sein Schicksal, kein Zweifel. Sah er sich schon einmal gezwungen, aus dem törichten Gleichmut in eine Leidenschaft zu fliehen, so suchte er nach der bequemsten aller Leidenschaften: derjenigen, in der man schon heimisch ist. Nachdem ich diese Erklärung aufgestellt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als Erna kennenzulernen. 63
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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