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Zipper und sein Vater
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Niemandem mehr Rechenschaft geben über den Verlauf des Tags, wenn man spät in der Nacht in sein Zimmer kam. Nicht mehr tausend gleichgültige Fragen hören, dieman der Wahrheit gemäß beantworten könnte – so harmlos sind sie – und auf die man doch mit einer Lüge erwidert, nur weil man dem Fragenden die Wahrheit nicht gönnt; den tausend Verwicklungen entgehen, die dadurch entstehen, daß man morgen vergißt, was man heute gesagt hat; dieser törichten und zudringlichen Neugier der Mutter entrinnen, die an der Jugend der Tochter ihre eigene Jugend wieder aufwärmen will; diesem lächerlichen Stolz des Vaters, den sein Glaube an die starke Persönlichkeit der Tochter nicht hindert, sie wie ein ahnungsloses Kind zu behandeln. Jetzt kam Erna nach Hause, wann sie wollte. Der Beruf, für den sie sich vorbereitete, reichte in eine so ferne Welt hinüber, daß ihre Eltern es aufgaben, etwas zu erfahren. Das war kein Mädchenlyzeum, das die Mutter auch besucht hatte. Das war »die Bühne«, die nach Sünde roch, fernen unbekannten Reichtümern, einem Glanz, der einen Untergang begleitet oder ein großes Glück – beides so fern von allen bürgerlichen Möglichkeiten, daß man sich fast über das Glück nicht freuen, den Untergang nicht beklagen kann. Diese Welt, für die Erna jetzt rüstete, lag außerhalb der Kontrolle ihrer Eltern. Sie selbst war schon ihrer Macht, ihrer Liebe, ihrem Stolz und ihrer Torheit entgangen. Weil sie klug war, fürchtete sie nichts so sehr wie ihren eigenen unbewußten Rückfall in eine der tausend häßlichen Formen ihrer Heimat. Sie beobachtete sich unaufhörlich, aus Furcht, an sich selbst eine Ähnlichkeit mit ihrer Mutter zu finden. Vor Fremden log sie ihre Eltern in einfache Menschen ohne Ansprüche um. Sie fand diesen Ausweg glücklich – der andere nämlich, sein Haus als vornehm auszugeben, war schon zu banal und jeder kleinen Schauspielerin geläufig. »Wenn man aus einem so einfachen Haus kommt wie ich –«, sagte sie häufig, auch wenn es vollkommen überflüssig war. Am liebsten wäre es ihr gewesen, die Welt glauben zu machen, ihr Vater sei ein Analphabet und ein armer Holzhacker. Es war nach der Revolution Mode bei der Jugend, die sich mit Literatur und Kunst befaßte und gerne dem Proletariat nahesein wollte, weil es eine kurze Zeit siegreich aussah, seine Abstammung nach unten zu verlegen. (Ich kannte den Sohn einesreichen Juweliers, der behauptete, sein Vater wäre ein Uhrmacher.) Das schien Arnold nicht zu merken. War sein Vater nicht imstande, Ursachen und Wirkungen zu erkennen, so war es Arnold nicht gegeben, Lügen von Wahrheiten zu unterscheiden. Welchem Liebenden ist es übrigens möglich? 67
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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