Seite - 98 - in Zipper und sein Vater
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seiner Küche offen. Man roch, was er aß. Jetzt hatte Arnold auch einen Salon.
Es war nicht mehr, wie bei ihm zu Hause, ein dunkler, feuchter Salon. Es war
ein warmer, trockener. Auf der Kommode standen winzige Buddhas mit
Schublädchen in den Bäuchlein. In diesen Schubläden lagen Kleinigkeiten,
Abfälle, Bestandteile von den Toiletten Ernas.
Sie hatten ein Dienstmädchen, eine strenge Frau mit einem Angesicht wie
eine Baumwurzel, knollig, schwarz. Sie steckte in einer langen blauen
Schürze. Das Muster erinnerte mich an die Schürze der Frau Zipper.
Man aß in einem Zimmer, dessen Tür zur Küche führte. Man aß an einem
runden kleinen Tisch, jeden Tag ließ Erna neue Blumen bringen.
Mit großer Sorgfalt las sie alle Zeitungen, die sie früher nicht einmal dem
Namen nach gekannt hatte. Seitdem ihr Ruhm verfiel, suchte sie nach den
Neuigkeiten der Welt, der versunkenen Welt, mit Qual und Neugier. Da sie
sich vorläufig ohne Ziel sah, schien es, daß ihr Verstand sich verringerte. Er
war ein Apparat, der nur unter bestimmten Bedingungen funktionierte.
Erna wurde empfindlich, mißtrauisch, weinerlich, eine klägliche kleine
Frau. Sie kombinierte immer noch scharf, aber falsch. Sie verdächtigte
Arnold, daß er nicht genug für sie arbeite. »Es wäre seine Pflicht«, sagte sie,
»mich jeden Tag der Welt ins Gedächtnis zu rufen. Er aber ist froh, daß ich
nicht spiele.« Kam er nach Haus, erzählte er, daß er in einer Gesellschaft
gewesen sei, so fragte sie: »Hat man von mir gesprochen?« Haarklein mußte
Arnold berichten, bei welcher Gelegenheit, warum, wieso die Rede auf Erna
gekommen wäre. Er mußte die Kleider der Frauen schildern, seine Gespräche
wörtlich wiedergeben. War sie nicht einmal auch von ihrer Mutter ausgefragt
worden?
Ihr Gebrechen heilte nicht. Wenn es kalt war, wurde es schlimmer. Man
schickte sie im Winter nach Nizza. Allein wollte sie nicht fahren. Arnold
mußte sie begleiten. Er bekam sechs Wochen Urlaub. Als sein Urlaub zu Ende
war, zwang sie ihn, bei ihr zu bleiben. Sie machten Schulden. Der alte Zipper
schickte noch einmal Geld.
Ein halbes Jahr später traf ich Arnold in Monte Carlo. Er spielte und
gewann. Es waren keine großen Summen. Aber er konnte mit seiner Frau von
den Gewinsten leben. Er gewann jeden Tag ein paar hundert Francs.
»Ich habe gar kein System«, sagte Arnold, »ich gewinne, einfach, weil ich
bescheiden bin. Ich gehe jeden Vormittag hierher, langsam, gedankenlos, wie
man in ein gleichgültiges Amt geht, wo einem nichts zustoßen kann. Jeden
Abend um sechs Uhr löse ich die Marken ein. Nie waren es mehr als tausend
Franken. Manchmal sind es hundert, manchmal dreihundert, manchmal
siebenhundertfünfzig.«
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Buch Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Titel
- Zipper und sein Vater
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1928
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 112
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110