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Zipper und sein Vater
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wie sanft mußte er jetzt mit seiner Frau umgehen, vielleicht lebten sie zusammen wie ein paar alte Tauben. Sie konnten keine giftigen Pfeile mehr gegeneinander abschießen, das Gift war ungefährlich geworden, oder die Körper waren schon daran gewöhnt. Kam Zippers Bruder aus Brasilien noch zu Ostern? Wohnte der Sekretär Wandl noch im Salon? Wenn ich daran dachte, daß ich bald wieder bei den Zippers im »Speisezimmer« sitzen sollte, so war es mir, als riefe ich einen alten langweiligen Schmerz wieder zurück, der einen die ganze Kindheit lang begleitet hat, etwa geschwollene Mandeln, und dem man dennoch ein paar sorglose Stunden im Bett zu verdanken hat. An den vielen Veränderungen im Hause Zipper, an den traurigen Resultaten der traurigen Bemühungen, die schon immer eine falsche Fröhlichkeit vorgetäuscht hatten, an diesen zuschande gewordenen Hoffnungen, deren Farbe schon immer einen falschen Schimmer gehabt hatte, als wären sie nicht grün von Natur, sondern nur grün gemalt – an diesem traurigen Wechsel ermaß ich die Zeit, die ich selbst zurückgelegt hatte. Nun kam ich bald in das Alter, in dem Zipper schon ein Vater gewesen war. Mir aber kam es immer noch vor, daß ich mit Arnold in die Schule gehe. Rechts an der Ecke saß er, in der dritten Bank. Ich hatte eine gewisse Zärtlichkeit für den alten Zipper, er war gut zu mir und manchmal fröhlich mit mir gewesen. Er hatte gesagt: »Zeig mir mal deine Hand her, du hast dich ja verletzt? Wir wollen in die nächste Apotheke gehen und etwas draufgeben lassen.« Und als unsere Marschkompanie abging, rief er noch: »Sieg in Lublin!« – Alles war falsch gewesen, was er unternommen hatte. Er kaufte in der Apotheke etwas Falsches für die verwundete Hand, und er tröstete uns mit einem Sieg, der uns nichts half. Seine Witze waren nicht heiter, sein Ernst war lächerlich, sein Ehrgeiz rannte schief zum Ziel, er war ein Redner mit einem schlechten Gedächtnis, ein Tischler, der nichts herzustellen wußte, ein Geigenmacher, der nur ein Lied spielte – – und dieses Lied war traurig, und bei diesem Lied war er munter. Aber er hatte doch meine Tage ausgefüllt. Arnold hatte ihn mir manchmal geliehen. Ich ging am frühen Vormittag zu Zipper, weil ich wußte, daß er nach einer alten Gewohnheit um elf Uhr durch die Straßen spazierte, daß er nach dem Essen im Kaffeehaus saß, daß er am Abend seine Freikarte im Kino ausnützte. Ich war etwa zehn Schritte vom Haus entfernt, hellgelb lag die Sonne auf der Straße, da sah ich, wie man einen schwarzen Kasten in einen schwarzen Wagen lud, zwei Männer in schwarzen Zylindern stiegen dann auf den Bock, die Zügel strafften sich, und hurtig rollte der Totenwagen im Sonnenglanz dahin. Kein anderer als Zipper war gestorben. Der Galanteriewarenhändler erzählte es mir. Vor einer Woche war die Frau 102
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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