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Zipper und sein Vater
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Friedensschlüsse, die Politik. Sie, die Jungen, waren tausendmal gescheiter, aber müde, halbtot, sie mußten ausruhen. Sie hatten nicht, wovon zu leben. Es war gleichgültig, ob Sie gefallen oder heimgekehrt waren. Und wohin waren Sie heimgekehrt? – In Ihre Elternhäuser! Erinnern Sie sich an diese schauderhaften Elternhäuser! Haben Sie jemals die Bibliothek der Zippers gesehn? Ich habe oft mit den Bänden gespielt. Da waren drei prachtgebundene Jahrgänge ›Moderne Zeit‹, das ›Deutsche Knabenbuch‹, ›DerTrompeter von Säckingen‹ – welch eine Literatur! Erinnern Sie sich an die Kommode? Wir haben zu Hause eine ähnliche. Wenn ich ein Meter von ihr entfernt bin, fürchte ich mich schon vor ihren Kanten. Welch lebensgefährliche Möbel! Welch klirrender Hängeleuchter mit elektrisch beleuchteten Kerzen aus Porzellan, aber gedreht wie Wachs! Diese Kalender, die jedes neue Jahr vor den Schreibtisch gehängt wurden! Und diese abonnierten Blätter mit den Leitartikeln. Mein Vater kann heute noch nicht einschlafen, wenn er nicht weiß, was – ›Er‹ gesagt hat. ›Er‹ ist das absolute Er hinter dem Leitartikel. ›Er‹ ist dort, wo man alles weiß, ›Er‹ ist im Grunde genau so ein törichter kleiner Bürger wie sein Leser. Arnold ist der junge Mann der Kriegsgeneration. (Kommen Sie, gehen wir ein wenig.)« Wir gingen in den Park zurück. P. sprach lange. Er versuchte Arnolds Gleichgültigkeit, seine Trauer, seine Unentschlossenheit, seine Schwäche, seine Kritiklosigkeit auf die Erziehung zurückzuführen und auf den Krieg. Die Sonne stand sehr hoch, die Kindermädchen rüsteten, nach Hause zu gehen, die Mittagsstunde brach an. Ich hörte, mit welcher Unerbittlichkeit P. die Menschen aus der Zeit zu erklären wußte. Zu dieser Entschiedenheit hatte er vielleicht mehr Recht als ich, als jeder andere, weil er ein Sterbender war. Er mußte zu jeder Zeit mit dem Urteil über alle Erscheinungen fertig sein, heute noch, zu jeder Stunde erwartete er den Tod. Ich widersprach ihm nicht, ich gab ihm nicht recht. Ich sagte nur: »Hätte ich einen Vater gehabt, ich hätte ihm keinen Vorwurf gemacht.« (Zu einem ganz kleinen Teil war übrigens der alte Zipper mein Vater.) »Sie stellen sich so hoch über die Menschen, daß Sie nur ihr Schwarzes und ihr Weißes sehen, ihre Schuld oder Unschuld. Sie richten wie ein Gott und wie ein Richter: nach den Absichten und nach den Taten. Wir aber, die wir im Krieg waren, richten nach dem Stoff, aus dem die Menschen gemacht sind. Wir waren nicht nur müde und halbtot, als wir heimkamen, wir waren auch gleichgültig. Wir sind es noch. Wir vergaben nicht unseren Vätern, wie wir den jüngeren Generationen nicht vergeben, die uns nachrücken, ehe wir noch unsere Plätze hatten. Wir vergeben nicht, wir vergessen. Oder noch besser: 108
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Zipper und sein Vater
Titel
Zipper und sein Vater
Autor
Joseph Roth
Datum
1928
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
112
Schlagwörter
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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