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Theoretische Situierung | 57
Frank Fischer und Herbert Gottweis beschreiben Deliberation als eine kollektive,
formal strukturierte und prozedural gelenkte Form der kollektiven Argumentati-
on. BürgerInnen kommen zusammen, um Angelegenheiten zu diskutieren – ent-
weder aus eigener Initiative oder aufgrund von staatlicher Aufforderung zur Par-
tizipation. Entscheidungen werden aufgrund von sorgfältiger Abwägung der ver-
fügbaren Datengrundlagen und der unterschiedlichen Perspektiven konsensual
getroffen (Fischer, Gottweis, 2012: S. 9-10). Macht durch Zwangsausübung (co-
ercive power) ist überall vorhanden, kann aber durch Verfahrensdesign einge-
schränkt werden. Dazu gehören etwa der Einsatz von unabhängigen Vermittle-
rInnen bzw. ModeratorInnen oder die öffentliche Zugänglichkeit von deliberati-
ven Verhandlungen (Curato u.a., 2016).
Die stärkere Rezeption von Deliberation in der US-amerikanischen und aust-
ralischen Literatur ist nicht zufällig, sondern von einem stärker kommunitaris-
tisch ausgerichteten Demokratiekonzept und der damit verbundenen politischen
Kultur beeinflusst. Kritik an diesen argumentativen Ansätzen richtet sich auch
auf deren starke theoriebasierte Normativität (Münch, 2015: S. 48). Diese ist vor
allem den theoretisch basierten Handlungsanleitungen inhärent (Fischer, 2003),
was wiederum zu dem Bedarf führt, Analysen kontext-, praxis- bzw. empiriebas-
iert durchzuführen, um die Erkenntnisse aus deliberativen Verfahren somit zu
begründen.
Zusammengefasst zeichnen sich alle hier erwähnten Ansätze dadurch aus, dass
sie den Fokus auf Prozesse des öffentlichen Aushandelns über Sprechakte bezie-
hungsweise die moralische und epistemische Qualität der Entscheidung auf Ba-
sis von öffentlicher Beratung legen. Werte und Ziele sind Gegenstand von kom-
plexen Aushandlungsprozessen, in denen es, John Rawls folgend, sowohl um die
epistemische als auch um die moralische Rechtfertigung gehen muss:
„Die Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Ge-
dankensystemen. Eine noch so elegante und mit sparsamen Mitteln arbeitende Theorie
muß fallengelassen werden oder abgeändert werden, wenn sie nicht wahr ist; ebenso müs-
sen noch so gut funktionierende und wohlabgestimmte Gesetze und Institutionen abgeän-
dert oder abgeschafft werden, wenn sie ungerecht sind.“ (Rawls, 1975: S. 19)
Chantal Mouffe hebt hervor, dass das Wesen und Ziel der Demokratie nicht in
der idealtypischen Möglichkeit von rational hergestelltem Konsens auf Basis ge-
rechter Verfahren (Habermas) oder richtiger und gerechter Ergebnisse (Rawls)
liegt, sondern in der Möglichkeit der Auseinandersetzung zwischen Liberalismus
und Demokratie. Damit Energie für diese Auseinandersetzung mobilisiert wird,
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293