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90 | Cultural Governance in Österreich
oder Audience Development verhandelt. Audience Development – ein Begriff,
der ab Ende der 1990er Jahre vom englischen Arts Council als Agentur des Mi-
nisteriums für Kultur, Medien und Sport geprägt wurde, hat das Prinzip der em-
pirischen Zielgruppenforschung aus der Marktwirtschaft auf den Kulturbereich
übertragen. Audience Development kann als Marketinginstrument für Kulturbe-
triebe betrachtet werden, die zusätzlich zu quantitativen Zielen (mehr Besu-
cherInnnen) auch normative Ziele verfolgt. Diese umfassen die Förderung kultu-
reller Teilhabe (Renz, 2016) bzw. eine Diversifizierung des Publikums im Sinne
eines Erreichens von Publikumsgruppen, die aus unterschiedlichen Gründen (Al-
ter, Einkommen, Bildung, Geschlecht, Herkunft) nicht oder nur selten Kultur-
veranstaltungen besuchen. Die Ausrichtung am Nutzen der BesucherInnen wird
mitunter als ein „herausragendes Legitimationskriterium im Kulturbereich ange-
sehen“ (Hausmann, Helm, 2006: S. 14). Eine diesbezügliche Argumentation lau-
tet, dass der Staat aufgrund seines Verharrens in normativen kulturpolitischen
Zielen (wie kulturelle Bildung, ästhetischer Qualitätsanspruch, Erhalt und Pflege
des kulturellen Erbes) dem Publikum in seinen Nutzenansprüchen an Kultur als
„Unterhaltung, Vergnügen, Erlebnis“ (Hausmann, Helm, 2006: S. 14) gegenüber
nur begrenzt fähig ist, ein attraktives Angebot zu schaffen. Öffentliche Kulturbe-
triebe sollen sich folglich von den normativen Zwängen der Kulturpolitik mög-
lichst emanzipieren, um so erfolgreich neue Publika zu erschließen.
Diese Form der Ansprache als KundInnen, Zielgruppen, BesucherInnen oder
Publika kann kritisch als Entpolitisierung der Stellung von BürgerInnen gedeutet
werden. Der Historiker Peter Becker, der sich mit der Kulturgeschichte der Ver-
waltung in Europa auseinandersetzt, beschreibt diese Entpolitisierung als „wich-
tiges Merkmal der New Public Administration“ und stellt fest, dass „der zur Pri-
vatperson bzw. zum Klienten gewordene Bürger“ politisch entmündigt wird, mit
seinen Worten „keine Möglichkeit einer politischen Kritik an der Definition von
Interventionen und Leistungen“ hat (Becker, 2011: S. 238).
Die normativ-regulativen und ökonomischen Legitimationsgrundlagen stabilisie-
ren den Staat als Akteur im kulturellen Bereich und statten ihn im Vergleich zu
anderen, zivilgesellschaftlichen AkteurInnen mit höheren Ressourcen, mehr Ein-
fluss und Handlungsmöglichkeiten aus. Sie bergen jedoch auch einen Grundkon-
flikt zwischen öffentlichen bzw. gemeinwohlorientierten Interessen und privaten
Interessen in sich. Dieser Konflikt sorgt für eine relative Instabilität der Legiti-
mität und macht staatliche AkteurInnen kritisierbar bzw. die Legitimität von
Entscheidungen grundsätzlich verhandelbar. Allerdings finden in Österreich nur
wenige öffentliche Diskussionen kulturpolitischer Entscheidungen statt.
Cultural Governance in Österreich
Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Titel
- Cultural Governance in Österreich
- Untertitel
- Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz
- Autor
- Anke Simone Schad
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4621-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 322
- Schlagwörter
- Political Science and International Studies, Kulturpolitik, Linz, Graz, Europäische Kulturhauptstadt, Demokratie, Cultural Governance, Österreich, Kultur, Kommunalpolitik, Politikwissenschaft, Politik
- Kategorie
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Abstract 7
- Gliederung des Buches 9
- 1 Prolog zu Cultural Governance: Doing Politics – Making Democracy? 11
- 2 Kultur, Öffentlichkeit und Politik: eine Annäherung 31
- 3 Theoretische Situierung von Cultural Governance 43
- 4 Lokale Situierung der Analyse in Österreich 87
- 5 Methodologische Situierung der Cultural-Governance-Analyse 109
- 5.1 Interpretative Policy-Analyse 109
- 5.2 Fokus auf die Situation 112
- 5.3 Positionierung, Perspektiven und Grenzen des Grounded Theorizing 126
- 5.4 Materialauswahl – der Unterschied zwischen der Fallanalyse und der Situationsanalyse 130
- 5.5 Situations-Mapping: AkteurInnen, Aktanten, weitere Elemente und ihre Wechselbeziehung 140
- 6 Ergebnisse der konkreten Situationsanalyse zur Verhandlung um Kulturförderung 155
- 7 Ergebnisse der Analyse Sozialer Welten in der Arena der Cultural Governance 219
- 7.1 Die Soziale Welt der städtischen Gemeinde 219
- 7.2 Die Soziale Welt der gewählten MandatarInnen (PolitikerInnen) 226
- 7.3 Die Soziale Welt der Kulturbetriebe in der Stadt 231
- 7.4 Die Soziale Welt der MitarbeiterInnen der städtischen Kulturverwaltung 242
- 7.5 Die Soziale Welt der Beiräte 254
- 7.6 Zusammenfassende Analyse der Sozialen Welten in der Arena der Cultural Governance 268
- 7.7 Normative Kriterien für Cultural Governance 271
- 8 Abschließendes Fazit 277
- 9 Anhang 283
- Literatur 293